Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
Vom Netzwerk:
fragte Nick.
    «Ruth und Mort Clark», antwortete Eric und ließ eine Spur von Wehmut anklingen. «Meine Mutter hat sie gemocht. Nette Leute.»
    «Wann sind sie ausgezogen?»
    Kat, die als Polizistin zumindest dem Anspruch nach über alle Bürger der Stadt Bescheid wusste, nahm sich die Freiheit zu antworten. «Sie sind nicht ausgezogen. Sie sind gestorben. Mort irgendwann Ende der Achtziger, seine Frau wenige Jahre später. Seitdem steht das Haus zum Verkauf.»
    «Und warum hat sich noch kein Käufer gefunden?», wunderte sich Nick.
    «Keine Ahnung.»
    Eric setzte sich wieder in Bewegung. «Ich würde sagen, weil es in dieser Straße liegt. Jeder weiß, was hier passiert ist. Hat sich schnell herumgesprochen. Dieser Ort ist irgendwie ...»
    Er stockte, doch Kat wusste, welches Wort ihm auf den Lippen lag. Es war das gleiche, das ihr selbst in den Sinn gekommen war. Unheimlich .
    Wie um sich von der Angemessenheit dieses Wortes zu überzeugen, nahm Kat das Haus auf der anderen Straßenseite in Augenschein. Es war absurd groß und heruntergekommen. Nur ein Friedhof anstelle des Vorgartens hätte es noch unheimlicher erscheinen lassen. Kats Blick war zuerst auf die Dachveranda gerichtet und glitt dann über die Fassade nach unten. Die breiten Bogenfenster wirkten wie Augen, die ihr entgegenstarrten. Einige der Glasscheiben waren zersprungen. An anderen Fenstern fehlten die Schlagläden. Die Wandverkleidung – früher wohl einmal weiß, wie Kat vermutete – hätte dringend ausgebessert und frisch gestrichen werden müssen. In ähnlich schlechtem Zustand war die Eingangsveranda. Im Bretterboden klafften große Löcher, und ein Teil des Geländers war abgebrochen. Es lag vor dem Haus, halb überwuchert von blutroter Fingerhirse.
    «Lass mich raten», sagte Nick. «Auch dieses Haus steht leer.»
    «Falsch», entgegnete Kat.
    Nick wies mit seinem Stock in Richtung Haus. «Da drin wohnt jemand?»
    Kat nickte. «Glenn Stewart. Unser Einsiedler hier.»
    Von Charlie Olmsteads Schicksal abgesehen, war Mr. Stewart das größte Rätsel von Perry Hollow. Kat, die fast jeden Bewohner der Stadt kannte, hatte diesen Mann noch nie zu Gesicht bekommen. Sie wusste auch von niemandem, der mit ihm in Kontakt stand. Um Glenn zu sehen, musste man entweder zu ihm ins Haus gehen oder davor warten, dass er herauskam, und das war höchst selten der Fall.
    «Hat er 1969 schon hier gewohnt?», fragte Nick.
    «Ja», antwortete Eric. «Aber schon damals hat er sein Haus kaum verlassen, wie ich von meiner Mutter weiß. Er lebt ausschließlich in seiner eigenen kleinen Welt. Wenn nicht manchmal Licht brennen würde, könnte man tatsächlich annehmen, das Haus stünde leer.»
    Den Blick auf eines der Fenster gerichtet, flüsterte Nick: «Ich glaube, er kann uns hören.»
    «Wie kommst du darauf?», fragte Kat, ebenfalls flüsternd.
    «Er beobachtet uns.»
    Sie folgte seinem Blick und sah tatsächlich eine bleiche Hand, die eine vergilbte Gardine zur Seite hielt. Ein paar Sekunden später verschwand die Hand, und die Gardine fiel zurück.
    «Seltsam», sagte Nick.
    «Sehr seltsam.»
    «Was weißt du über diesen Mann?»
    Kat scheiterte bei dem Versuch, sich irgendwelche Auskünfte oder Klatschgeschichten in Erinnerung zu rufen. Sie wusste absolut nichts über Glenn Stewart, was sie selbst am meisten verwunderte.
    Schweigend gingen sie weiter, bis sie am Ende der Sackgasse den Waldrand erreichten, der wie eine grüne Wand vor ihnen aufragte. Aus der Tiefe drang, kaum hörbar, das Rauschen von Wasser.
    «Hier lang», sagte Eric und zeigte auf einen von Unkraut und Sträuchern überwucherten Pfad.
    Er ging voraus und bahnte, mit den Füßen stampfend, eine Spur. Ihm folgte Kat, die alles beiseiteräumte, worüber Nick hätte stolpern können. Als sie sich nach ihm umschaute, sah sie seiner Miene an, wie schwer er sich tat.
    Das Rauschen der Sunset Falls, auf die sie zusteuerten, schwoll immer weiter an. Wenig später öffnete sich der Wald, und sie gelangten ans Ufer des Flusses, wo das Tosen des Wassers, von den Bäumen reflektiert, so laut war, dass sie sich nur rufend verständigen konnten.
    «Da sind sie», sagte Eric. «Die Sunset Falls.»
    Wegen des verregneten Sommers führte der Fluss ungewöhnlich viel Wasser, das vor den Felsen der Abrisskante weiß aufschäumte.
    Eine ungefähr fünfzehn Meter lange Holzbrücke überspannte den Fluss. Sie war sehr schmal und von zweifelhafter Tragfähigkeit. Auf der anderen Seite setzte sich der Pfad fort,

Weitere Kostenlose Bücher