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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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sie sahen, war überraschend und traurig zugleich.
    «Was ist das?», fragte James.
    «Ein Frettchen», antwortete Eric.
    Er betrachtete den hellbraunen, mit weißen Flecken betupften Kadaver und die geschlossenen Augen, über die sich ein Band dunklerer Haare zog. Das tote Tier lag zusammengerollt in einer Ecke des Kartons und schien zu schlafen.
    Immer noch neugierig, fragte James: «Was ist mit ihm passiert?»
    «Es ist gestorben.»
    «Warum?»
    «Keine Ahnung.»
    Eric wusste nur, dass es keine gute Idee gewesen war, heimlich Glenn Stewarts Grundstück zu betreten. Offenbar war sein Haustier vor kurzem gestorben, und er hatte dem Sturm der vergangenen Nacht getrotzt, um es feierlich zu begraben. Was Eric am Fenster gesehen hatte, war ein einsamer Mann, der sich von einem geliebten Wegbegleiter verabschiedet hatte. Ihn verdächtigt zu haben brachte Eric vor Scham ins Schwitzen.
    James ging hinter ihm in die Hocke. «Kann ich es anfassen?»
    «Nein.»
    Eric zerrte den Karton von ihm weg, so ruckartig, dass das tote Frettchen in die andere Ecke rutschte. Und mit ihm rutschte noch etwas anderes. Es hatte unter dem Kadaver versteckt gelegen. Jetzt lag es frei vor einer seiner kleinen Tatzen.
    Eine flache Scheibe, ungefähr so groß wie ein Tellerchen aus dem Teeservice eines Kindes. Eric nahm es an sich und wendete es hin und her. Offenbar aus Ton gemacht, war es überraschend schwer für seine Größe. Die eine Seite war unbehandelt, die andere mit einer weiß fleckigen Farbschicht überzogen. Erst als Eric die Scheibe mit ausgestrecktem Arm von den Augen wegbewegte, erkannte er eine Ähnlichkeit mit dem Antlitz des Vollmonds.
    «Was ist das?», fragte James merklich erstaunt. Für ihn hatte sich die Schatzsuche offenbar gelohnt.
    «Nur ein Stück Ton.»
    «Kann ich es haben?»
    «Nein», antwortete Eric. «Wir sollten es zusammen mit dem Tier wieder vergraben. Und zwar schnell.»
    Eric legte die Scheibe in den Karton zurück und setzte den Deckel darauf. Wieder auf den Beinen, griff er nach dem Spaten und erweiterte damit das Loch, aus dem er den Karton gezogen hatte. Als es groß genug war, legte er den kleinen Pappsarg wieder hinein und schüttete die ausgehobene Erde darüber.
    Er war fast fertig, als James an seinem Ärmel zupfte und flüsterte: «Er ist aufgewacht.»
    Eric sah, dass im Obergeschoss Licht brannte. Vor dem Fenster zeichnete sich eine Silhouette ab.
    «Lauf los», zischte Eric. «Schnell.»
    Der Junge rannte von Glenn Stewarts Grundstück. Eric folgte wenig später und holte den Jungen ein, als der die Hintertür zu seinem Haus erreicht hatte. Grinsend und außer Atem hechelte er: «Das war cool. Ob er uns gesehen hat?»
    Eric schüttelte den Kopf. «Ich glaube nicht.»
    Es war gelogen. Tatsächlich zweifelte er keinen Augenblick daran, dass Glenn Stewart sie gesehen hatte und genau wusste, weshalb sie heimlich auf sein Grundstück geschlichen waren.

19
    Die auf dem Edelstahltisch zusammengelegten Knochen erinnerten an Puzzleteile. Der Schädel, den Nick im Wasser gefunden hatte, lag am Kopfende, darunter der Unterkiefer mit der braunen Zahnreihe. Die restlichen, von Tauchern der State Police geborgenen Knochen waren so angeordnet, wie es dem Skelettaufbau entsprach: in der Mitte die Rippen, links und rechts davon die Arme, von denen einer am Ellbogen in zwei Teile gebrochen war, und unter dem Becken die Schenkel.
    Die vielen Jahre unter Wasser hatten das Skelett völlig freigelegt. Reste von Haut, Organen oder auch nur von Sehnen waren nicht mehr zu erkennen. Zeit und Fische hatten gründliche Arbeit geleistet. Übrig geblieben waren nur Knochen.
    Nick ging langsam um den Tisch herum und musterte sie. Die Hand des rechten, zweigeteilten Arms lag flach und mit gespreizten Fingerknöcheln auf der Metalloberfläche. Die Linke war zur Faust geballt. Er wollte sie gerade berühren, als eine Frau in den Autopsiesaal kam und die Schwingtür heftig schlenkernd hinter sich zurückließ. Ihr erster Blick galt dem Skelett, dann schaute sie Nick an.
    «Leiten Sie die Ermittlungen?»
    Lieutenant Vasquez, der auf einem Stuhl in der Ecke gesessen hatte, stand auf. Seine Kleider waren nach dem unerwarteten Bad im Mühlenkanal noch feucht, genau wie die von Nick. Im Unterschied zu diesem aber hatte er sein Hemd ausgezogen und trat nun mit nacktem Oberkörper auf die Frau zu, die Brust angeberisch aufgepumpt.
    «Ich leite die Ermittlungen», sagte er, streckte die Hand aus und stellte sich vor.
    «Lucy Meade. Wir

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