Totennacht (German Edition)
was auf Glenn Stewarts Grundstück geschehen war, sträubte sich Eric, die Büchse zu öffnen, die Kat ihm eine Stunde später vom Friedhof mitgebracht hatte. Er ärgerte sich immer noch, in die Privatsphäre des Nachbarn eingedrungen zu sein und dessen totes Haustier ausgegraben zu haben. Und die Blechbüchse vor Augen, die nun auf dem Esstisch lag, sah er sich endgültig darin bestätigt, dass manche Dinge im Verborgenen bleiben sollten.
«Sollen wir wirklich daran rühren?», fragte er.
Kat saß neben ihm. Sie nickte und sagte: «Das hat deine Mutter doch gewollt, oder?»
Zugegeben, es war ihr Wunsch gewesen, dass Eric seinen Bruder fand. Aber dass Dinge, die sie vergraben hatte, wieder zutage gefördert wurden, war bestimmt nicht in ihrem Sinne gewesen. Eric stand vor einem Dilemma.
Kat übte sich in Geduld, was er ihr hoch anrechnete. Sie hatte James von Carl Bauersox nach Hause bringen lassen und den Deputy gebeten, auf ihn aufzupassen, bis auch sie zurück sein würde. Erics Zögern konnte ihr nicht recht sein, zumal sie wahrscheinlich darauf brannte zu erfahren, was in der Büchse steckte.
Nach einer weiteren Minute bedrückten Schweigens sagte Eric: «Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig.»
Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, entfernte er den Deckel und schaute in die Büchse. Sein Bruder starrte ihm entgegen – von einem Foto. Es war wieder jenes Schulporträt, das Eric in den vergangenen Tagen schon so oft zu Gesicht bekommen hatte. Er nahm es zur Hand und betrachtete es, die traurigen Augen, die abstehenden Ohren, das zaghafte Lächeln.
«Da ist noch was drin», sagte Kat.
Eric legte das Foto beiseite und schaute wieder in die Büchse. Auf dem Boden, zuvor von dem Foto bedeckt, lag ein Schlüssel mit stark gezacktem Bart, dunkel angelaufen und kleiner als herkömmliche Schlüssel. Anhänger oder Ring fehlten. Nichts deutete darauf hin, zu welchem Schloss er gehörte.
Eric ahnte es dennoch.
Er sprang vom Tisch auf und eilte mit dem Schlüssel in den Flur hinaus. Kat konnte kaum Schritt halten, als er die Treppe hinauflief und erst vor Charlies Tür stehenblieb. Mit zitternden Händen führte er den Schlüssel ins Schloss. Er passte. Klickend sprang der Riegel zurück.
Die Tür war aufgeschlossen.
Eric hüpfte vor Freude in die Luft, schlang einen Arm um Kats Taille und wirbelte sie tanzend im Kreis.
«Es ist der Schlüssel!», rief er. «Wir sind drin!»
Er zog sie an sich und drückte ihr ohne Vorwarnung einen Kuss auf die Lippen.
Damit hatte sie nicht gerechnet. Doch der Kuss war ihr willkommen. Schon vom ersten Augenblick ihres Wiedersehens an hatte sie im Stillen darauf gehofft, sich sogar danach gesehnt, als sie ihn am Vormittag überrascht hatte.
Also gab sie ihm wortlos zu verstehen, dass sie mehr wollte. Sie legte ihre Hand an seinen Hinterkopf und zog ihn an sich.
Natürlich hatten sie einander schon früher geküsst, vor langer, langer Zeit. Wenn sie sich damals trafen, hatte eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen darin bestanden, Parkplätze anzusteuern, die jenseits des Kontrollbereichs ihres Vaters oder seines Deputys lagen. Aber zu der Zeit waren sie noch halbe Kinder gewesen. Zu ihrem größten Vergnügen nahm Kat nun zur Kenntnis, dass Eric auch in dieser Hinsicht gereift war. Er küsste nachdrücklicher und zärtlicher zugleich und ließ einen Hunger erkennen, der ihr gefiel.
Vor Verlangen wurden ihr die Knie weich, sodass sie unwillkürlich nach dem Türknauf griff, um sich daran festzuhalten. Als sie seine Lippen an ihrem Hals spürte, sprang die Tür plötzlich auf, aufgestoßen durch den Druck ihrer aneinandergeschmiegten Schultern, so überraschend, dass sie das Gleichgewicht verloren und ins Zimmer stolperten.
Kat landete auf dem Rücken und schlug mit dem Hinterkopf auf. Eric kam auf ihr zu liegen, hatte aber noch seinen Arm um ihre Taille gelegt. Als er ihn darunter wegzog, war er dunkelgrau von Staub.
Jede ihrer Bewegungen wirbelte noch mehr Staub auf, und als sie endlich wieder auf den Beinen standen, waren sie von einer stickigen Wolke umhüllt.
«Himmel», ächzte Eric und wedelte mit der Hand vorm Gesicht. «Ich kriege kaum Luft.»
Kat erging es ähnlich. Der Staub war überwältigend. Sie griff sich zwischen die Revers der Uniformjacke und zog den Kragen ihres Shirts über Mund und Nase. Eric tat es ihr gleich, als sie durch die Staubwolke in die Tiefe des Raums blinzelten.
Kats erster Eindruck war, dass sich jegliche Farbe
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