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Totennacht (German Edition)

Totennacht (German Edition)

Titel: Totennacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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solches Loch gestürzt?»
    «Ja», antwortete Marcy. «Als er zum Abendessen nicht zurückkam, war mein erster Gedanke, dass ihm genau das zugestoßen ist. Ein paar Wochen vorher war ein Junge abgesackt. Er hatte sich allerdings an einer Wurzel im Boden festhalten und um Hilfe schreien können. Er hatte Glück gehabt.»
    «Und die Polizei?», fragte Nick. «Hat auch sie an einen solchen Unfall gedacht?»
    Marcy reagierte auf die Erwähnung der Polizei mit einer verächtlichen Handbewegung. «Ach, die glaubte doch tatsächlich, er könnte weggelaufen sein.»
    «Und? Könnte er weggelaufen sein?»
    «Er war ein glücklicher Junge», erwiderte sie. «Vielleicht nicht der gescheiteste oder beliebteste, aber glücklich. Und ich habe ihn geliebt.»
    Diesmal konnte sie ihr Schluchzen nicht unterdrücken. Tiefer Schmerz brach aus ihr hervor. Marcy schlug eine Hand vor den Mund, doch es schüttelte sie so heftig, dass sie aus dem Zimmer floh.
    «Darüber zu reden fällt ihr immer noch sehr schwer», sagte Bill, als sie fort war. «Sie wird es wahrscheinlich nie verwinden.»
    Nick ahnte, wie ihr zumute war. Meist ließ sich der Kummer irgendwie verdrängen, aber manchmal eben nicht. Dann konnte der geringste Anlass – ein Lieblingssong seiner Schwester im Radio oder ein Zufallsblick auf ihre Lieblingsfarbe – eine Flut trauernder Gefühle auslösen.
    «War es auch bei Bucky so?», fragte er. «Meinte die Polizei da auch, er könnte durchgebrannt sein?»
    «Nein. Dabei waren die Umstände ganz ähnlich. Er kam von der Schule nach Hause, wollte raus, um zu spielen, und kehrte nicht mehr zurück. Aber Frankie war da schon seit Monaten verschollen, und die Polizei ging nun in beiden Fällen von einem Grubenunglück aus.»
    «Was ist Ihre Meinung?»
    Im Unterschied zu seiner Lebensgefährtin schien Bill Mason seine Gefühle gut unter Kontrolle zu haben. Aber verschwunden waren sie nicht. Nick sah sie in seinen Augen und in der Art, wie er in einer hilflosen Gebärde die Schultern anhob.
    «Ich habe der Polizei vertraut», antwortete er. «Sie hat eine riesige Suchmannschaft auf die Beine gestellt und Spürhunde eingesetzt, präpariert mit einem von Buckys T-Shirts. Marcy und ihr Mann haben ihnen Frankies Turnschuhe gegeben. Die Hunde folgten ihrer Spur und gelangten an ein und dieselbe Stelle.»
    Nick wusste Bescheid. «An ein Senkloch.»
    «Richtig», sagte Bill. «Ich glaube, die Jungen liegen darin begraben. Marcy zweifelt noch.»
    «Was wäre denn sonst noch denkbar für Sie?»
    «Dass sie entführt wurden. Darum wohnen wir auch noch hier vor Ort.»
    Fast alle Bewohner, erklärte Bill, hatten Centralia Mitte der achtziger Jahre verlassen. Die leer stehenden Häuser wurden abgerissen. Als auch Marcy ihr Haus zu verlieren drohte, zog sie in die andere Hälfte von Bills Doppelhaus, und schließlich, weil auch diese Hälfte bedroht war, zu ihm nach nebenan. Deshalb hatte Vinnie Russo ihre Adresse nicht ausfindig machen können. Auf ihren Namen gab es keine.
    «Warum steht Ihre Haushälfte noch?», fragte Nick.
    «Der Staat wollte uns vor die Tür setzen. Wir haben uns geweigert. Mit Nachdruck», fügte Bill hinzu und zeigte auf eine Winchester, die über dem Kaminsims an der Wand hing. «Seitdem lässt man uns in Ruhe.»
    Nick bewunderte die Hartnäckigkeit der beiden, konnte sie aber nicht verstehen. «Was hält Sie hier?»
    «Es könnte ja sein, dass Marcy doch recht hat und die Jungen entführt wurden. Stellen Sie sich vor, einer von ihnen wäre nach Hause zurückgekommen und in einer verlassenen Ortschaft gelandet. Wie hätte er uns finden sollen? Also sind wir geblieben. Für Marcy kam nichts anderes in Frage.»
    «Wissen Sie, warum sie glaubt, dass die Jungen entführt worden sind?»
    «Sie meint, Frankie sei zu clever gewesen, um in ein Senkloch zu fallen», antwortete Bill. «Das Gleiche gelte für Bucky. Ich für meinen Teil halte ein Unglück für wahrscheinlicher. Unfälle passieren ständig. Dass jemand Kinder verschleppt, kommt zum Glück nur selten vor.»
    Aber es kam vor. Kinder wurden verschleppt, auch aus Orten, die sehr viel schöner waren als Centralia. Perry Hollow zum Beispiel, Fairmount, Parkanlagen oder Freizeitlagern für gefährdete Jugendliche.
    «Wir hatten hier eine gute Stadt», fuhr Bill fort. «Voller anständiger Leute, Nachbarn, die sich umeinander gekümmert haben. Da kommt doch niemand her, um Kinder zu entführen.»
    «Nun», widersprach Nick, «vielleicht war er schon vor Ort.»
    «Sie meinen,

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