Totenplatz
Windschutzscheibe flatterte, für einen Moment auf der Kühlerhaube hockenblieb und mich durch die Scheibe hinweg anstarrte.
Es war ein Vogel – die Dohle!
Ich gab den Blick zurück und stellte fest, daß dieser Vogel sehr kalte Augen hatte. Todesaugen.
Dieser Blick war wie eine Botschaft. Nur kam ich nicht lange in den
›Genuß‹, denn als ich mich bewegte, irritierte ich auch damit den Vogel.
Mit flattrigen Flügelbewegungen stieg die Dohle wieder auf und entschwand meinen Blicken.
Mir fiel ein, daß es der einzige Vogel gewesen war, den wir hier gesehen hatten. Die anderen waren verschwunden oder hielten sich versteckt.
Hatte dies etwas zu bedeuten? War der Vogel eine Spur in die Vergangenheit? Ich wußte die Antwort nicht und wollte mich von den eigentlichen Problemen auch nicht durch derart trübe Gedanken ablenken lassen. Statt dessen wählte ich Sir James’ Nummer.
Er war noch im Büro, und er freute sich sogar, meine Stimme zu hören.
»Nun, Sie wissen jetzt Bescheid, John?«
»Worüber?«
»Ob das Grillfest wie geplant starten kann.«
Ich runzelte die Stirn, und meine Antwort klang ein wenig gequält. »Sir, es wäre wohl besser, wenn man auf dieses Fest einfach verzichtet.«
Er ließ mich nicht ausreden. »Wieso?«
»Wenn ich ehrlich sein soll, dann kann ich für die Sicherheit der Gäste nicht garantieren.«
»Ach.« Schweigen. Dann das Räuspern. So verhielt sich ein Mensch, der wirklich überrascht worden war. »Ich denke, daß Sie mir einiges zu erzählen haben, John.«
»In der Tat. Zuvor eines, Sir. Es war gut, daß wir an diesen Platz gefahren sind, denn Sie haben sich für das Fest ausgerechnet einen verfluchten Ort ausgesucht, einen Totenplatz.«
»Können Sie das genauer erklären?«
»Noch nicht, Sir. Ich will mal sagen, daß sich hier ein Stück verfluchter Geschichte konzentriert. Auf diesem Boden sind Menschen gestorben. Ein Henker hat sie geköpft, und diesen Henker gibt es immer noch, wie sie von Garry McBain wissen. Aber es gibt noch mehr. Mir sind die Geister einer Familie begegnet, die ebenfalls von diesem Henker geköpft worden sind. Ich möchte nicht behaupten, daß mich diese geisterhaften Gestalten kannten, aber ihnen war der Name Hector de Valois ein Begriff. Sie waren also mit der Templer-Materie vertraut, und sie sind hingerichtet worden, die Eltern und zwei Kinder, weil sie entweder zu den Templern gehörten oder diesen nahestanden. Sie starben an einem verfluchten Ort, der auch damals schon verflucht gewesen ist und jetzt in die Lage versetzt werden soll, diesen Fluch wieder aufleben zu lassen. Es klingt ein wenig kompliziert, ich weiß, aber Details kann ich Ihnen nicht mitteilen, Sir, weil man mich auch nicht informiert hat. Ich kenne nur den Namen der getöteten Familie. Es sind die Ashfords gewesen.«
Der Superintendent schwieg zunächst. Dann wiederholte er den Namen und meinte: »Ich weiß auch nicht, wo ich ihn hinstecken soll. Aber ich werde Nachforschungen anstellen, John, und hoffe, daß ich Ihnen bei meinem Eintreffen schon Näheres sagen kann.«
»Dann wird das Fest stattfinden, denke ich.«
»Selbstverständlich. Ich kann es auf keinen Fall abblasen. Das geht nicht mehr.«
»Es wäre aber besser.«
Ich sah ihn förmlich vor mir, wie er hinter den Brillengläsern die Augen verdrehte, und er hätte es auch gern getan, aber er machte mir klar, daß es nicht möglich war. »Ich könnte nicht mal alle erreichen. Zu diesem kleinen Grillfest sind die Gäste mit ihren Damen geladen. Es findet jedes Jahr statt. Nie ist etwas passiert. Es wird auch in diesem Gebiet gejagt. Können Sie mir erklären, wie ich den Leuten die Absage beibringen soll?«
»Da muß ich passen, Sir.«
»Eben, ich auch.«
»Also werden wir uns noch sehen?«
»Das denke ich doch.«
»Es wird schwer werden, Sir…«
»Ich weiß es, John. Ich kann auch nachempfinden, wie Sie sich fühlen, aber es geht einfach nicht.«
»Wissen Sie, was ich befürchte, Sir?«
»Nicht direkt. Sie werden es mir aber sagen.«
»Genau. Ich befürchte, daß aus dem Grillfest leicht ein Blutfest werden kann.«
Der Superintendent schwieg. Irgendwann räusperte er sich. »Es tut mir leid, John, aber sorgen Sie und Suko bitte dafür, daß es nicht soweit kommt.«
»Versuchen werden wir es.«
»Danke.«
Das Gespräch war beendet. Ich blieb trotzdem noch im Wagen sitzen, die Augen halb geschlossen. Sonnenlicht fiel durch die Scheiben. Die Beifahrertür stand offen. Der frische Geruch des
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