Totenplatz
diesem Fall wurden sie für Helen zu kleinen Ewigkeiten. Auch im Gesicht des Mädchens regte sich nichts.
Dann aber zog sie ihre kleine Hand weg. Nur ein leichtes Zucken, mehr nicht. Die Hand rutschte heraus, sie streckte sich für einen Moment, dann hob Cynthia den linken Arm an.
»Meine Puppe…«, flüsterte sie. »Es ist meine Puppe. Ich habe sie gefunden.«
In diesen Worten lag eine unwahrscheinlich starke Sehnsucht, gleichzeitig verbunden mit einer Erlösung. Plötzlich wirkte das geisterhafte Mädchen nicht mehr verkrampft. Es stöhnte positiv auf. Die neben ihm stehende Helen spürte eine seltsame Kraft oder Magie auf sich zuströmen. Wahrscheinlich nur dadurch zu erklären, daß sich Cynthia ihren Gefühlen hingab und die linke Hand über die Tischkante geschoben hatte, wobei sie sich kriechend dem Körper der Puppe näherte.
Alles lief sehr langsam ab. Als wäre das Kind noch nicht richtig in der Lage, es zu schaffen. Es drehte noch einmal den Kopf nach links. In den Höhlen bewegten sich die Augen. Wächsern und glasig sahen sie aus.
Ohne normales Leben und trotzdem mit einem anderen erfüllt. Helen kam damit nicht zurecht, aber Antworten auf Fragen wurden ihr nicht gegeben.
Die Finger des Geisterkindes umfaßten die Puppe.
Sie hoben sie an.
Ohne Kopf!
Cynthia starrte auf den Körper. In diesem Moment wirkte sie wie ein normales Kind, das nach einem Spielzeug gegriffen hatte, es aber nicht überwinden konnte, daß dieses so wichtige Spielzeug einfach zerstört worden war.
In dem kreidigen Gesicht zuckte es.
Helen schaute zu, es war ihr alles bekannt. Nicht nur Kinder reagierten so, wenn sie dicht vor dem Weinen standen. Erwachsene taten es auch, und Cynthia hatte Mühe, die nächsten Worte über die kalten Totenlippen zu kriegen.
»Sie ist nicht mehr so…sie ist nicht mehr so…sie ist nicht mehr so…sie ist ganz anders. Man hat ihr den Kopf abgehackt. Man hat se totgemacht! Tot…tot…tot!« Sie hob die Hand an und schlug in den folgenden Sekunden die hölzerne Puppe einige Male auf den Tisch. Helen hörte ein Lachen.
Es klang wie ein schauriger Gruß, und es war in ihrem Rücken entstanden. Gelacht hatte ein Mann.
Aber nicht ihr Mann, das wußte sie sofort.
Blitzartig fuhr sie herum. Cynthia schaute nach wie vor auf ihre Puppe.
Nicht so Helen McBain.
Denn sie sah die massige Gestalt des Henkers dicht vor sich…
***
Hector de Valois!
Ein Name war gefallen. Ein wichtiger Name. Ein Mensch, der Geschichte geschrieben hatte. Ein Templer, den ich nicht kannte, aber trotzdem kannte, denn ich hatte in der Vergangenheit einmal als Hector de Valois gelebt und dort auch das Kreuz in meinem Besitz gehabt. Da ich es jetzt auch wieder besaß, hatte sich durch diese letzte Wiedergeburt der Kreislauf so ziemlich geschlossen.
Es mußte mir gelingen, mich von den Erinnerungen der Vergangenheit zu befreien. Wichtig war die Gegenwart, denn ich wollte natürlich wissen, was diese drei Personen mit Hector de Valois zu tun hatten. Ich kannte sie nicht, ich wußte nicht mal die Namen. Sie waren wie Spukgestalten aus der fernen Vergangenheit erschienen, standen nun vor mir und schauten mich an.
Angesprochen hatten sie mich. Jetzt war ich an der Reihe, um ihnen zu antworten.
»Ich bin nicht der, für den ihr mich vielleicht haltet. Ich bin nicht Hector…«
»Aber du besitzt sein Kreuz!«
Wieder hatte ich nicht herausfinden können, wer da gesprochen hatte.
Ich wollte es auch nicht abstreiten, nickte und hörte, daß sie mich wieder ansprachen. »Wer das Kreuz des Templers besitzt, wer es bekommen hat, der kann nicht schlecht sein.«
Es war gut, daß sie diese Meinung von mir hatten, und ich sagte ihnen, wer ich war. »Mein Name ist John Sinclair. Ich lebe in einer anderen Zeit als mein Ahnherr.«
»Ja, das wissen wir. Die Feinde haben es nicht geschafft, obwohl man uns jagte.«
»Wer wurde von wem gejagt?«
»Die katholische Kirche jagte die Templer in Europa. Sie wollte den Orden vernichten, und sie hat es immer wieder versucht. Aber sie hat nicht alle töten können, auch wenn uns die Flucht leider nicht gelang.«
»Dann seid ihr Templer?«
»Ja, wir gehörten zu ihnen.«
»Wie sind eure Namen?«
Ich erfuhr, daß sie Ashford hießen. Derek, Madelaine und William Ashford, eine Familie, bei der noch die Tochter fehlte, die aber auch in den Tod gegangen war.
»Man hat uns geköpft. Der Henker erschien und brachte uns der Reihe nach um. Genau an dieser Stelle ist es damals passiert. Das hier
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