Totenrache und zehn weitere Erzählungen
und zerrten daran, bis sie den Happen für sich gewonnen hatten und ihn tiefer in den Schlund trieben. Sirenenartig erhob sich Pauls Schrei in dem Zimmer, aber niemand hörte ihn. Mit seinem gesunden Fuß trat er immer und immer wieder nach Emilias Kopf, der durch die Tritte herumruckte, aber sie empfand keinen Schmerz, er dafür um so mehr. Tränen der Qual rannen ihm übers Gesicht. Er kreischte sinnlose Dinge und wollte sein verletztes Bein wegzerren, aber Emilia umklammerte es zu stark. Mühselig zerbiss sie seine Zehen, ein ständiges Knirschen drang aus ihrem Mund, manchmal auch leise Grunzlaute.
Paul wurde schwarz vor Augen, aber er glitt nicht ab in die Bewusstlosigkeit, sosehr er auch um dieses Geschenk kämpfte. Er schaute, hörte und fühlte. Er sah die Ruine seines Fußes in der unnachgiebigen Umklammerung ihrer Hand. Die beiden verbliebenden Zehen zuckten, als besäßen sie eigenes Leben. Bizarre Knochensplitter ragten aus der Wunde auf.
Oh Gott, lass mich sterben, dachte er. Aber Gott schien nicht zu hören.
„Sssschatzi“, sagte Emilia, und der spröde Klang ihrer Stimme durchstieß mühelos Pauls flackernde, vor Schmerz davonwirbelnde Sinne. Was er sah, als er die Augen auf sie richtete, ließ ihn aufseufzen: Ihr Gesicht war mit seinem Blut besudelt, aber ihr Mund lächelte.
Unzweifelhaft: Zwischen Blut und Totenblick lugte – wie Sonnenstrahlen hinter Gewitterwolken – ein Lächeln, und es war so unschuldig, wie sie es selbst zu Lebzeiten kaum zustandegebracht hatte.
Emilia schob sich weiter vor und kroch über seine klammen, blutleeren Schenkel, die zwischen Bett und Boden in der Luft hingen. Einmal berührte sie das klaffende Loch an seinem Fuß, und Paul schrie auf und riss sein Bein zur Seite. Aber der Schmerz war nun nicht mehr unerträglich, er wurde abgemildert zu einem bohrenden Pochen. Unermüdlich arbeitete Emilia sich voran.
Was sahen ihre Augen, fragte Paul sich in seinem letzten lichten Augenblick, das sie so sehr erfreute?
Näher und näher kam ihr vor Blut starrendes Gesicht. Ihr Totenlächeln wurde breiter, als würde sie diese neuerlangte Fähigkeit zu schätzen wissen.
„Nein“, flüsterte Paul, als er ihre Absicht erkannte und wollte wegrobben, aber die Muskeln seines annähernd blutleeren Körper verweigerten ihren Dienst. Zudem lag Emilia nun halb auf ihm und hielt ihn reglos am Boden.
Beinah behutsam und wie mit liebevoller Absicht nahm Pauls tote Frau sein haltlos schlaffes Glied in ihren Schlund.
„Nein“, flüsterte Paul erneut. „Nein.“ Er spürte ihre raue Zunge über sein Fleisch schlecken. Müde schloss er die Augen und wartete auf das Zuschnappen ihrer Kiefer, auf den neuerlichen Schmerz, wartete auf das erlösende Ende.
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