Totenreigen
Gesamtbild machen.«
»Ich sollte wirklich alles meinen Anwalt machen lassen«, murmelte
sie zu sich selbst. Nach ein paar Sekunden der Stille fuhr sie mit gehobener
Stimme fort. »Es ist doch nur eine Sachbeschädigung gewesen, das mit den
Hunden. Ich hatte mich vorher erkundigt. Ich hatte Holger deutlich gemacht,
dass ich das Haus verkaufen wollte und dass auch er ausziehen muss.« Sie betonte
jedes Wort mit einem trotzigen Nicken.
»Holger?« Es musste sich um den Selbstmörder handeln, dachte Lüthje.
»Mein zweiter Mann. Holger Lamm. Ich habe diesem Mann nicht
nachgeweint. Ich hatte einfach nicht richtig hingesehen, als ich ihn
kennenlernte. Und ich habe keine Lust, das alles wieder aufzusagen!«, sagte sie
trotzig, mit Tränen in den Augen und in der Stimme.
»Bei wem hatten Sie sich erkundigt? Ich meine, wegen der
Sachbeschädigung.«
»Frau Klockemann hat sich angeboten, diese Frage zu klären.«
»Warum haben Sie nicht Ihren Anwalt gefragt?«
»Der hätte es mir doch nur ausgeredet.«
»Und wie hat Frau Klockemann das geklärt?«
»Sie hat den Anwalt ihrer Firma gefragt. Natürlich ohne Namen zu
nennen.«
»Sie hatten immer einen guten Kontakt zu Ihrer Nachbarin?«
»So kann man das nicht sagen. Sie ist mir manchmal ziemlich auf die
Nerven gefallen. Aber sie hat mir immer beigestanden, wenn es mir schlecht
ging.« Sie begann zu kichern. »Na ja, eigentlich ist sie nur ein anhängliches
Quasselweib.« Sie nahm die leere Teetasse vom Tisch, drehte sie in ihren Händen
und schien großen Gefallen daran zu finden.
»Haben Sie noch Kontakt zu Frau Klockemann?«
»Sie ruft ab und zu an.«
»Von wem stammte die Idee, die Hunde zu töten?«, fragte Lüthje in
härterem Ton als beabsichtigt.
Sie sah erschrocken auf. »Das hab ich doch schon damals erzählt!«
»Ich bitte Sie einfach, mir zu helfen, das erspart mir, die Akte
noch mal zu lesen. Zeit, die ich dringend brauche, um den Mörder Ihres Sohnes
schnell zu finden.«
»Ich weiß es nicht mehr so genau. Ich habe mit Frau Klocke mann
geredet. Und dann war es plötzlich klar. Es war nur noch die Frage, ob ich die
Hundeleinen beim Tierarzt mitnehme und vor meine Haustür lege.«
»Und wer hat die Antwort gegeben?«
»Wir haben es beide gesagt. Das war ja das Schöne.«
»Wen meinen Sie mit ›wir‹?«
»Frau Klockemann und ich.«
6.
»Moin, ich wollte nur mal reinschauen!«, sagte Lüthje, als
er den Kopf durch die Tür des Dienstzimmers von Hoyer und Vehrs steckte. Vehrs
saß auf der Kante ihres Schreibtisches.
»Herr Lüthje!«, sagten sie beide gleichzeitig. Vehrs hüpfte vom
Schreibtisch, Hoyer erhob sich.
»Setzen!«, befahl Lüthje. »Ich wollte wirklich nicht stören. Tun Sie
einfach so, als ob ich nicht da wäre.«
»Möchten Sie einen Kaffee, Herr Lüthje?«, fragte Hoyer. »Ich brüh
den immer frisch auf.« Sie wies auf die Isolierkanne auf einem Aktenschrank.
»Danke, ich trinke nur Tee, und den habe ich mitgebracht. Aber wenn
Sie eine Porzellantasse für mich hätten, wäre alles perfekt.« Er nahm seine
Thermosflasche aus dem Rucksack und goss sich den Tee in die Tasse, die Hoyer
ihm eilig aus dem Aktenschrank geholt hatte.
»Was Neues aus der Klinik?«
Hoyer und Vehrs schüttelten beide den Kopf.
»Er liegt nicht mehr auf der Intensivstation«, sagte sie und goss
sich und Vehrs eine Tasse Kaffee ein. »Aber das ist ja eigentlich nichts Neues.
Ich hab gleich heute Morgen angerufen, als ich hier war. Vernehmungsfähig ist
er noch nicht. Alle in Frage kommenden Ärzte und Schwestern wissen inzwischen
Bescheid, das hat uns die Stationsschwester versichert. Sie würden uns sofort
anrufen. Hier Station und Zimmernummer.« Hoyer reichte ihm einen Zettel.
»Sie denken an alles. Danke«, sagte Lüthje.
Vehrs sah krampfhaft aus dem Fenster.
»Vielleicht wird er uns überhaupt nichts sagen können.« Lüthje sah
auf den Zettel, ohne ihn zu lesen. »Vielleicht war er durch Zufall im Haus,
weil er das Verkaufsschild gesehen hatte. Dann der Schock. Aus«, sagte Lüthje.
»Oder er hat eine Geschichte, die er uns erzählen will.«
»Was für eine Geschichte?«, fragte Hoyer.
»Wenn ich das wüsste«, sagte Lüthje.
Hoyer hielt einen kleinen Schlüsselbund hoch. »Herrn Malbeks
Schlüssel für sein Dienstzimmer.«
»Den können Sie behalten. Mein Dienstzimmer ist in Laboe, und dabei
bleibt es. Den Papierkrieg kann ich nach Laboe mitnehmen oder gleich hier in
Ihrem Zimmer erledigen.« Er blätterte durch den Stapel Papier, den er
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