Totenreigen
den Täter kannte und sich deshalb nicht umgedreht hat.«
»Im Flur?«
»Ja, Ihr Sohn wurde in der Abstellkammer im Flur gefunden. Er muss
dort irgendetwas gesucht haben. Ein Haufen Papiere lag unter ihm. Wir haben sie
aber noch nicht sichten können. Wissen Sie, worum es sich dabei handeln
könnte?«
»Er hat mir nichts davon gesagt, dass er etwas im Haus suchen
wollte.«
Lüthje nahm sein Notizbuch aus dem Rucksack und blätterte darin.
»Wir haben einen Hausschlüssel bei ihm gefunden.«
»Er hatte einen, falls noch was zu regeln ist.«
»Wer hat noch einen Hausschlüssel?«
Sie dachte nach. »Der Makler.«
»Den Schlüssel des Maklers habe ich mir aushändigen lassen. Der
Schlüssel Ihres Sohnes ist von der Spurensicherung beschlagnahmt.«
»Also kann der Makler jetzt gar nicht ins Haus?«
»Nein, wir haben den Tatort durch Beschlagnahme gesichert. Ich werde
Sie anrufen, sobald die Freigabe erfolgt. Ach ja, dabei fällt mir ein,
Kommissarin Hoyer hatte Sie wegen des Kleides an der Hauswand angerufen. Es
gehöre Ihnen nicht, sagten Sie. Haben Sie eine Ahnung, wer es dort hingehängt
haben könnte?«
»Ich …« Sie schüttelte mehrfach den Kopf. Plötzlich sah sie Lüthje
an und sagte: »Aber es gehört mir doch!«
»Ach! Und wieso haben Sie …«
»Ich war nicht bei mir. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe.«
»Wieso haben Sie das Kleid an die Hauswand gehängt? Und wann?«
»Als ich auszog, habe ich es auf dem Boden wiedergefunden. Ich habe
es gewaschen und zum Trocknen rausgehängt. Und dann vergessen. Wo ist es
jetzt?«
»Wir haben es beschlagnahmt, um Spuren zu sichern.«
»Was für Spuren?«
»Wenn es so ist, wie Sie sagen, werden wir es Ihnen bald aushändigen
können. Bei uns ist es jedenfalls sicherer als an der Hauswand.«
»Wenn Sie meinen …«
»Können Sie mir etwas über Ihren Sohn erzählen?«, fragte Lüthje.
»Etwas über seine Persönlichkeit, wer er war, über seinen Beruf, seine Freunde,
seine Hobbys. Es kann uns helfen, den Mörder zu finden.«
»Mein Gott!« Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen. »War um muss
ich in meinem Leben immer nur Nachrufe formulieren!«
Lüthje wartete.
Langsam zog sie die Hände vom Gesicht nach unten weg, als wolle sie
die fehlenden Tränen ersetzen. »Jeder hat Freunde und Feinde in seinem Leben.
Horst hat ein ziemlich ruhiges Leben geführt. Das wurde beruflich von ihm
verlangt. Ich meine damit, er musste unauffällig und geräuschlos seine Arbeit
tun.«
»Was war seine Arbeit?«
»Er war Referent im Innenministerium.«
»Was bedeutet das?«
»Er war Mädchen für alles«, sagte sie.
Lüthje sah sie das erste Mal lächeln. Eine schöne Frau, dachte
Lüthje. Bewunderung und Stolz lagen plötzlich in ihren Augen. »Ausputzer,
Diplomat, Zauberer. Er hatte die Kompetenz eines Staatssekretärs und mehr.«
»Und mehr?«, fragte Lüthje.
»Er hat mir nichts erzählt. Da waren nur manchmal so beiläufige
Bemerkungen.«
»Was für Bemerkungen?«
»Ich habe es nicht verstanden. Das wollte er wohl auch nicht. Mein
Sohn war noch verschlossener als sein Vater. Was vielleicht auch etwas mit dem
Tod seines Vaters zu tun hatte. Aber darüber will ich wirklich nicht reden!«
Sie sah ihn mit schmalen Augen an.
»Wie ist Ihr Sohn in die Position gekommen?«
»Ganz einfach. Er ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten.
Leider auch was Frauen betrifft. Entschuldigung, aber er war da etwas …
bindungsunfähig, so würde ich es bezeichnen.«
»Was meinen Sie damit?«
»Seine Beziehungen dauerten nie sehr lange.«
»Hatte Ihr Sohn Feinde?«
»Ich weiß es nicht.«
»Mit welcher Frau war Ihr Sohn zuletzt zusammen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie mit hilflosem Gesichtsausdruck.
»Hat Ihr Sohn noch eine Wohnung im Haus gehabt?«
»Die Mansardenwohnung. Aber er war schon lange nicht mehr da
gewesen. Er wollte nicht mehr mit mir sprechen. Vielleicht war er zu sehr mit
sich selbst beschäftigt. Wie ich schon sagte, er hat mir nie etwas von sich
erzählt.«
»Wie war das Verhältnis Ihres Sohnes zu seinem Stiefvater?«, fragte
Lüthje und blätterte beiläufig in seinem Notizbuch.
»Die beiden konnten sich nicht ausstehen. Ein Hundezüchter mit Spaß
am Abenteuer. Ich bitte Sie! Das war nichts für ihn. Aber das war es gerade …«
Sie schien den Faden verloren zu haben, ihre Lippen arbeiteten. Dann sagte sie
schnell: »Sie gingen sich aus dem Wege. Mehr war da nicht.«
»Wenn es niemanden im Freundes- oder Bekanntenkreis
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