Totenruhe
für einen Bericht in Erfahrung zu bringen, doch er
bekam nicht viel zu hören. O’Connor hatte ihn gebeten, sich mit Dan Norton in Verbindung zu setzen, einem Freund von Jack, der Detective bei der Mordkommission der Polizei von Las Piernas war. Er hatte kaum zu hoffen gewagt, dass der Polizist dies wirklich tun würde, und so war er überrascht gewesen, als Norton gegen zehn Uhr am selben Morgen auf einen Sprung vorbeikam. Er war einer von einer Hand voll Freunden, die Jack besucht hatten, als er noch bewusstlos war. O’Connor wusste, dass Norton dem Fall so viel Aufmerksamkeit wie möglich widmen würde.
O’Connor sah sich im Zimmer um. Es gab ein zweites Bett, leer, aber frisch bezogen, und nach kurzer Musterung stellte er das Kopfteil bis fast auf Sitzposition hoch. Er nahm seine Krawatte ab und steckte sie in die Tasche, zog das Sakko aus und hängte es ordentlich über eine Stuhllehne, streifte die Schuhe ab und stellte sie darunter und stieg dann auf das Bett.
Er legte sich auf die Seite, mit dem Gesicht zu Corrigan, und versuchte, in Gedanken dessen Feinde aufzulisten. Es wurde eine verflucht lange Liste.
Eine junge Krankenschwester kam herein und schüttelte bei seinem Anblick den Kopf, sagte aber nichts.
Sie fühlte Corrigans Puls, notierte etwas auf einer Tafel und sagte: »Er hat eine bessere Gesichtsfarbe. Das ist ein gutes Zeichen.«
»Er ist aufgewacht«, sagte O’Connor.
»Wann?«, fragte sie erstaunt.
»Gerade eben. Er hat ein bisschen mit mir geredet, dann ist er wieder eingeschlafen.«
»Sie hätten mich holen sollen«, erwiderte sie streng.
»Er wollte aber mit mir sprechen.«
Sie rollte genervt die Augen, ehe sie seinen belustigten Blick auffing. »Sie bringen uns ganz schön in Schwierigkeiten, Mr. O’Connor. Die Besuchszeit ist schon lange vorbei. Wenn eine der Nonnen hier reinkommt …«
»Eine ist schon gekommen«, sagte er lächelnd.
»Wollen Sie nicht lieber nach Hause gehen und sich von uns verständigen …«
Das Lächeln verschwand. »Vergessen Sie’s. Bis ich weiß, wer ihm das angetan hat, weiche ich nicht vom Fleck.«
»Ich weiß, ich weiß. Sie verteidigen ihn im Alleingang, wenn seine Angreifer ihm noch einmal nach dem Leben trachten.«
»Glauben Sie etwa, ich bin der Aufgabe nicht gewachsen?«, fragte er, wobei er seine langen Beine über die Bettkante warf und sich kerzengerade aufrichtete.
»Offenbar glauben Sie nicht, dass die Klinik ihr gewachsen ist.«
»Auch wenn den Barmherzigen Schwestern ein wehrhafter Ruf vorauseilt«, entgegnete er, »und bestimmt schon viele Männer aufgrund grausamer Verletzungen durch Nonnenschleier und Rosenkranzperlen ihr Leben lassen mussten, ist es doch eigentlich nicht ihr Metier, Leibwächter zu spielen, oder?«
»Ist es Ihres?«
»Wenn es sein muss.«
Die anderen Schwestern hatten erzählt, dass sie alle beide Reporter waren, dieser Mann und der Patient. Sie hätte nicht gedacht, dass dieser Beruf so rau war. Der jüngere Mann hatte es mit Charme und leisen irischen Anklängen in seiner Aussprache geschafft, die Besuchszeiten zu umgehen.
Corrigan stöhnte, und sofort war O’Connor auf den Beinen und stand neben dem Bett seines Freundes. Gemeinsam beobachteten sie Corrigan und warteten, doch es kam kein weiteres Geräusch mehr von ihm außer seinem gleichmäßigen Atmen.
Die Krankenschwester musterte O’Connor. Seine Haare waren dunkel und dicht und ein bisschen zerzaust. Eine dünne Narbe schnitt eine seiner schwarzen Brauen in zwei Hälften,
und er hatte sich mindestens einmal die Nase gebrochen. Seine blaugrauen Augen waren blutunterlaufen; darunter waren Ringe zu sehen, die nicht nur von dieser einen durchwachten Nacht herrührten.
»Sie brauchen Schlaf, Mr. O’Connor.«
Er schüttelte den Kopf und betrachtete erneut Corrigan.
»Wenn er das nächste Mal aufwacht, sagen Sie mir dann Bescheid?«, fragte sie nach einer Weile.
Er blickte wieder auf. »Natürlich«, versicherte er ihr und legte sich wie ein Schuljunge die Hand aufs Herz.
»Ich wüsste zu gern, wie Sie als Kind waren«, sagte sie mit einem Blick auf seine löchrigen Socken und das zerzauste Haar.
»Ach, meine Liebe«, erwiderte er, ohne ihr in die Augen zu sehen, »das glaube ich nicht. Das glaube ich wirklich nicht.«
Er wollte nicht schlafen, und er hatte auch keine Angst, ungewollt einzunicken. Er wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, ehe er sich erneut auf das zweite Bett legte und Corrigan betrachtete. Eine Weile verbrachte er
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