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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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das bedeutete, was er schon vermutet hatte, doch O’Connor freute sich viel zu sehr über den Silberdollar (den er nur Maureen gezeigt hatte), um sich durch die Worte der reichen Frau gekränkt zu fühlen. Er war überzeugt davon, dass es ein Glücksdollar war, und das war er vielleicht auch, denn als er am nächsten Tag zur Arbeit kam, erklärte ihm der Boss, dass man ihm die Ecke Broadway und Magnolia zugewiesen hatte.
     
    Ein paar Wochen später setzte er Geoffrey massiv unter Druck, den Nachtwächter, der kaum zehn Jahre älter war als der Zeitungsjunge.
    »Aber Jack Corrigan ist ein Freund von mir, und es ist wichtig!«
    »O’Connor, bitte sei vernünftig«, erwiderte Geoff leise. »Ich habe dich hier bleiben lassen, nachdem alle anderen Jungen nach Hause gegangen sind, und schon dafür kann ich ziemlichen Ärger kriegen. Mr. Corrigan ist ein viel beschäftigter Mann. Er arbeitet an seinem Artikel über den Prozess, und dabei will ich ihn nicht stören.«
    »Versuch’s. Bitte!«
    Geoffrey seufzte und nahm den Hörer ab. »Mr. Corrigan? Entschuldigen Sie die Störung, aber da ist ein Zeitungsjunge, der … nein, Sir, ich habe nicht den Verstand verloren, aber …«
    Mit dem Mut der Verzweiflung zog O’Connor seinen Glücksdollar hervor. »Schick ihm den rauf!«
    »Ich glaube nicht, dass er sich mit einem Silberdollar bestechen lässt, Kleiner.«

    Corrigan musste den Wortwechsel gehört haben, denn als Geoff sich wieder dem Telefon zuwandte, wurde seine Miene immer ungläubiger. »Ja, Sir«, sagte er, ehe er sich zu O’Connor umwandte. »Ich muss nur erst jemanden holen, der den Eingang bewacht. Dann bringe ich dich nämlich selbst rauf.«
    »Nein«, widersprach O’Connor, »er soll hier runterkommen.«
    »Oh, Herrgott noch mal …«
    »Darf ich ihn bitte selbst sprechen?«
    Geoff reichte ihm mit großer Geste den Telefonhörer.
    »Mr. Corrigan?«
    »Hallo, Kleiner. Komm rauf, dann zeig ich dir die Redaktionsräume.«
    Die Versuchung war groß, und er hätte ihr fast nachgegeben, doch dann sagte er: »Sir, ich habe mit meiner großen Schwester darüber gesprochen, und …«
    »Mit deiner großen Schwester? Mensch, alter Kumpel, da hast du mir aber was vorenthalten. Wie alt ist sie denn?«
    »Maureen? Elf.«
    »Hmm. Ein bisschen jung, sogar für mich. Na, egal, was hat die wunderbare Maureen dir denn geraten?«
    Er überlegte krampfhaft und versuchte, sich an den genauen Wortlaut dessen zu erinnern, was Maureen ihm eingebläut hatte. »Ich habe heute etwas gesehen, das wichtig sein könnte. Es geht um den Prozess. Aber wenn ich in die Redaktion komme, wissen die Leute von der News , woher Sie die Information haben, und dann wollen sie mich auch als … als …«
    »Zeitungsjungen?«, half Corrigan aus.
    »Ungenannte Quelle«, sagte O’Connor, als ihm endlich das fehlende Wort eingefallen war.
    Corrigan zögerte nur kurz, ehe er sagte: »Gib mir noch mal Geoff, Kleiner.«
    Es war nicht O’Connors erste Niederlage, aber bitter war es trotzdem, und als er Geoff den Hörer zurückgab und sich
zum Gehen wandte, sah er sich außerstande, dem mitleidigen Blick des Wachmanns zu begegnen. Er setzte seine Mütze auf und öffnete bereits die große Eingangstür, als Geoff rief: »Hey, Kleiner! Nicht weggehen.« Als O’Connor sich umwandte, sagte Geoff: »Er will wissen, ob du schon zu Abend gegessen hast.«
    O’Connor schüttelte den Kopf.
    »Dann warte drüben bei Big Sarah’s auf ihn, ein Stück die Straße runter. Er hört sich dort deine Geschichte an.«
    O’Connor grinste und bedankte sich bei Geoff, ehe er eilig durch das wuchtige, messingbeschlagene Portal trat.
     
    Big Sarah’s war ein rund um die Uhr geöffnetes Schnellrestaurant zwei Häuser neben dem Zeitungsgebäude. Es war nichts Besonderes, aber O’Connor hatte noch nie eine Mahlzeit verspeist, die nicht entweder seine Mutter oder eine seiner Schwestern gekocht hatte - es sei denn, man zählte die paar Äpfel von irgendeinem Straßenhändler -, und so hatte er fast ebenso viel Ehrfurcht vor Big Sarah’s wie vor dem Wrigley Building. Als er hineinspähte, beschlug unter seinem Atem die Fensterscheibe, doch er sah, dass das Lokal beinahe leer war und nur ein alter Mann am Tresen einen Kaffee trank.
    Draußen war es ein bisschen kalt, doch er war überzeugt davon, dass man ihn hinauswerfen würde, wenn er ins Lokal ginge, und so stellte er sich vor den Eingang. Er hatte gerade die Mütze abgenommen und kämmte sich mit den Fingern das Haar, als

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