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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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die rundeste Frau, die er je gesehen hatte, ihm in die Augen blickte und ihn hineinwinkte.
    Sie begrüßte ihn mit einem warmen Lächeln und sagte: »Du musst der junge O’Connor sein. Ich bin Big Sarah. Komm rein, gleich hier lang, Herzchen. Der schöne Jack höchstpersönlich hat angerufen und mir gesagt, dass du kommst. Willst du dir die Hände waschen?«
    »Ja, vielen Dank, Ma’am.«

    »Was für gute Manieren! Die Herrentoilette ist gleich da hinten, neben dem Telefon.«
    In der Toilette zog er seine dünne Jacke aus und wusch sich Hände und Arme bis zu den Ellbogen, wobei er eine Stelle am linken Arm sorgfältig ausließ. Fasziniert von einem Stoffhandtuch, das trocken war, wenn man daran zog, obwohl es eigentlich nur zu einer Endlosrolle zusammengenäht war, erwog er, so lang daran zu ziehen, bis die nasse Seite wieder zum Vorschein kam. Doch es machte einen solchen Krach, dass er nach drei Versuchen aufhörte. Mit ein paar weiteren Spritzern Wasser kämmte er sich die Haare fertig, ehe er - stets darauf bedacht, sich von seiner besten Seite zu zeigen, und sicher, dass Big Sarah ihn kontrollieren würde - das Waschbecken auszuwischen versuchte. Doch hier zeigten sich die Nachteile des Handtuchmechanismus: Das Handtuch reichte nicht bis zum Waschbecken, und so nahm er stattdessen sein Taschentuch.
    Als O’Connor aus der Toilette kam, stand Corrigan neben Big Sarah, die über irgendeinen Witz lachte, den er gerade gemacht hatte. Der einzige andere Gast war gegangen. Corrigan bemerkte O’Connor und lächelte.
    »Sehen wir mal zu, dass wir ihn ein bisschen füttern, Sarah.«
    »Zwei Specials, kommen sofort«, erklärte sie. »Magst du Brathuhn, Junge?«
    »Ja, Ma’am«, antwortete er.
    Sie setzten sich in eine Nische, und O’Connor konnte es kaum lassen, mit den Händen über alles zu fahren und das glatte Leder der Sitze oder die glänzende Tischplatte zu befühlen. Er folgte Corrigans Beispiel im Umgang mit der Serviette und widerstand der Versuchung, andauernd sein Besteck gerade zu rücken.
    Big Sarah brachte Jack eine Tasse Kaffee und O’Connor ein Glas Milch. Er trank erst, nachdem Jack einen Schluck Kaffee getrunken hatte.
    O’Connor nahm an, dass Jack seine vertrauliche Information
gleich hören wollte, doch stattdessen erkundigte sich Jack: »Fragt sich deine Mutter nicht, wo du bleibst?«
    O’Connor schüttelte den Kopf. »Nein, Sir.«
    Jack blickte skeptisch drein.
    »Sie arbeitet heute Abend. Sie arbeitet bei einer Dame - sie kocht und putzt, und manchmal passt sie auf die beiden Mädchen der Dame auf. Die sind noch ganz klein, die zwei.«
    »Warst du auch schon dort?«
    »Oh nein, Sir«, erwiderte er, lief aber rot an.
    »Hmm. Aber vielleicht hast du dich mal ganz inoffiziell dort umgesehen, bist deiner Mutter vielleicht eines Tages gefolgt, als sie zur Arbeit gegangen ist, nur um zu sehen, ob es ein guter Arbeitsplatz ist?«
    Der Junge sah auf die Tischplatte und antwortete: »Kann schon sein.«
    Corrigan lächelte. »Und dein Vater? Arbeitet der auch abends?«
    Den Blick immer noch abgewandt, antwortete O’Connor: »Nein, Sir.«
    Corrigan nahm eine Zigarette heraus, zündete sie an und sah zu, wie der Junge seine Gabel auf der Tischkante balancierte, sie wieder hinlegte und die Hände vom Tisch nahm. Jack wartete.
    »Er war Ölbohrarbeiter«, sagte O’Connor und nahm wieder Blickkontakt auf.
    »Dein Vater hat auf den Ölfeldern gearbeitet?«
    O’Connor wiederholte die Geschichte, die er so oft von Maureen gehört hatte. »Mein Dad ist von Irland nach Las Piernas gekommen, um Ölbohrarbeiter zu werden. Vor meiner Geburt. Vor Maureens Geburt. Als Dermot zwei war.«
    »Und wie alt ist Dermot jetzt?«
    »Siebzehn.«
    »Dann muss dein Vater zu Beginn des Ölbooms hierher gekommen sein.«

    O’Connor nickte. »Pat - sein Vetter - hat ihm einen Vertrag bei einer der großen Ölgesellschaften in Signal Hill verschafft. Pat arbeitet jetzt oben in Bakersfield.«
    »Und du hilfst mit, indem du Zeitungen verkaufst.«
    O’Connor zuckte die Achseln. »Ein bisschen.«
    Big Sarah brachte die Hühnchen. Eine so große Portion warmes Essen hatte er schon lange nicht mehr auf dem Teller gehabt, doch O’Connor, der gerade an seine Familie dachte, bekam auf einmal das Gefühl, als wäre es ein Akt des Egoismus, alles aufzuessen.
    Corrigan, der das Problem erahnte, sagte: »Sarah wäre schrecklich gekränkt, wenn du nicht alles ratzeputz auffuttern würdest.«
    O’Connor nickte, und nach ein paar Bissen

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