Totenruhe
den dieser aufmachte und umkippte. Ein kleiner pinkfarbener Umschlag rutschte auf den Tisch und machte dabei ein Geräusch, das darauf hinwies, dass sich etwas Metallenes darin befand. Unangetastet lag er einen Moment lang da. Der Staatsanwalt sah Frank an. Als allzeit bereiter Ermittler
in Mordfällen hatte mein Mann selbstverständlich ein Paar Latexhandschuhe bei sich. Er reichte sie dem Staatsanwalt, der sie überstreifte, ehe er sachte die Klappe des Umschlags lüftete und ein silbernes Medaillon herausnahm, das die Form eines Kleeblatts hatte. Die Kette war gerissen und hatte dunkle Flecken, die Rost hätten sein können. Oder Blut. Ich begriff und starrte es entsetzt an.
»Haben Sie und Mr. Brennan es ohne Handschuhe angefasst?«, fragte der Staatsanwalt Betty.
»Nur ich«, antwortete sie. »Er hat es sich nur angesehen.«
»Es hat Maureen gehört«, sagte ich, nachdem ich meine Stimme wiedergefunden hatte.
Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden ruhte auf mir.
»Es hat Maureen O’Connor gehört.« Die Gefühle wallten in mir auf, als ich es aussprach. Die ganzen Jahre. Die ganzen Jahre über …
»O’Connor?«, fragte der Staatsanwalt.
»Die Schwester des Reporters«, erklärte Frank. »Sie ist 1945 ermordet worden. Irene, bist du dir sicher …?«
»Ich habe ein Foto, auf dem sie es trägt. Mir ist erst nicht klar gewesen, dass es ein Medaillon ist, aber es hat genauso ausgesehen wie das hier.«
Der Staatsanwalt bat um einen Abzug des Fotos. Ich nickte, da ich meiner Stimme nicht traute und immer noch darum ringen musste, die Kombination aus Wut, Erleichterung und Trauer unter Kontrolle zu bekommen. Trotz der anderen Anwesenden fasste Frank herüber und drückte meine Hand.
»Alles okay?«
Ich nickte erneut und holte tief Luft. »Was ist denn drin?«
Der Staatsanwalt klappte es vorsichtig auf. Das Medaillon hatte ein schmales Mittelteil, sodass vier kleine Fotos in seine an Scharnieren befestigten Fächer passten. Die ersten zeigten zwei gut aussehende junge Männer, wobei der jüngere noch ein Teenager war. Auf den anderen beiden waren ein Mann
und eine Frau, deren Gesichter ich erkannte. »Conn O’Connor, sein Bruder Dermot und ihre Eltern. Ihre Familie - oder vielmehr ein Teil davon. Die Menschen, die ihr am nächsten standen.«
Die Fragen begannen erneut. Frank fragte sie nach Gus’ Komplizen aus, und das auf eine Art, die ihre Erinnerungen sprudeln ließ. Ich war dankbar für dieses Intermezzo, da es mir half, meine Konzentration wiederzufinden.
Frank hatte offenbar ein Warnsignal seines Lieutenants aufgefangen. Während sie sich berieten, sagte Brennan: »Ms. Kelly, haben Sie irgendwelche Fragen?«
»Ja. Woher hat Gus gewusst, dass Jack Corrigan auf Katy Ducanes Geburtstagsfeier sein würde?«
»Gus hat gesagt, dass sie Corrigan bestimmt einladen würde, weil er ihr Onkel sei, und er fand das auch noch witzig, also habe ich mir gedacht, dass Corrigan vielleicht einer der Liebhaber ihrer Mutter gewesen ist oder so. Außerdem hat Gus ein paar Leute ein oder zwei Kneipen beobachten lassen, in denen er eventuell hätte auftauchen können. Falls Corrigan dort aufgetaucht wäre, hätten sie einen Dritten anrufen sollen, der dann uns abgeholt hätte, damit wir die gleiche Schau in der Kneipe abziehen. Aber Gus war sich ziemlich sicher, dass das mit der Party klappen würde, also hat er sich über irgendwen eine Einladung besorgt, und mit der hat uns Bo reingeschmuggelt.«
»Hat Gus Rose Hannon gekannt, das Kindermädchen?«, erkundigte sich Frank.
»Die nicht«, erwiderte sie, »aber ich glaube, er hat die andere gekannt - die, die den Abend freigehabt hat. Ich sage das nicht gern, weil sie das in ein schlechtes Licht rückt, so als hätte sie gelogen. Aber ich kann ihr nicht verdenken, dass sie nicht dahinter gekommen ist. Gus hat gewusst, dass der Boss ihn früher oder später ins Haus der Ducanes schicken wollte, also
hat er schon Monate zuvor versucht, die Haushälterin anzumachen. Einmal ist er sogar mit ihr ausgegangen. Aber sie konnte ihn dann doch nicht recht leiden, daher ist er nicht an ihre Schlüssel rangekommen, wie er es eigentlich vorgehabt hat - ich weiß noch, wie sauer er deswegen geworden ist. Aber er hat erfahren, wo der Kleine schläft und wo das Kindermädchen sein Zimmer hatte und das alles.«
Sie hielt einen Moment inne und verlor kurz die Fassung. Brennan fragte sie, ob sie eine Pause machen wolle, doch sie schüttelte den Kopf, wischte sich die Tränen ab und
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