Totenruhe
bewerkstelligen sein, vor allem, wenn er den Mord an einem Kind in Auftrag gegeben hat. Die Leute wollen, dass Übeltäter bestraft werden.«
»Wenn du meinst«, erwiderte sie und schaute durch ihn hindurch. »Aber manche Leute werden als Übeltäter entlarvt, und trotzdem lässt die Welt es ihnen mit einem kleinen Klaps durchgehen.«
Selbstverständlich traf dieser Pfeil ins Schwarze. Ethan sammelte seine Papiere zusammen, ehe er mit leicht bebender Stimme zu mir sagte: »Entschuldige bitte - ich gebe nicht auf, aber ich glaube, wir müssen ein andermal weiterreden.«
Damit ging er.
Hailey zuckte die Achseln, allem Anschein nach ungerührt. Ich ließ mich nicht vom Schein trügen, war aber zu wütend auf sie, um mir einen vernünftigen Kommentar zuzutrauen.
»Willst du wissen, was ich über die Ducanes rausgefunden habe?«, fragte sie. »Die geschäftliche Seite ist ziemlich langweilig, aber ich habe ein paar Leute gefragt, die die Eltern gekannt haben, und die hatten nicht viel Gutes zu berichten.«
»Komisch, dass manche Leute so sein können. Ich glaube, wir sollten jetzt aufhören.«
»Wann sollen wir uns wieder treffen?«
»Wann friert die Hölle zu?«
»Ja, ich weiß schon, dass du jetzt sauer auf mich bist, weil dich Ethan eingewickelt hat oder so, aber …«
»Oh nein, Ethan war bei diesem Treffen nicht die böse Hexe.«
»Findest du nicht, du hättest mich fragen sollen, ob ich mit ihm zusammenarbeiten will, statt einfach darauf zu bestehen?«
»Nein. Lauf nach oben und lass dir von John oder Lydia erklären, warum du hier nicht in einer Demokratie lebst. Offenbar bin ich nicht in der Lage, dir auch nur die winzigste Kleinigkeit zu vermitteln.«
»Okay, okay, es tut mir Leid, was ich über Ethan gesagt habe. In Ordnung? In Ordnung? Können wir dann bitte wieder auf unsere Arbeit zurückkommen?«
»Du entschuldigst dich bei der falschen Person. Entschuldige dich bei der richtigen, dann überlege ich es mir morgen eventuell anders und lasse dich wieder mitarbeiten.«
Ich ließ sie sitzen und kehrte in die Redaktion zurück. Ethan war nirgends zu sehen.
Kaum war ich an meinem Schreibtisch angelangt, klingelte das Telefon.
»Kelly«, meldete ich mich.
Nichts.
Ich legte auf. Fast sofort klingelte es wieder.
Ich nahm ab und sagte kein Wort.
Eine Frauenstimme sagte: »Hallo? Hallo? Ist jemand dran?«
»Ja, hier ist Irene Kelly.«
»Irene Kelly? Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern … wir haben uns vor zwanzig Jahren mal gesprochen, aber ich habe Ihnen meinen Namen nicht genannt.«
»Betty Bradford«, sagte ich. »Ich bin ja so froh, dass Sie anrufen.«
»Ich bin in Zeke Brennans Kanzlei. Er ist einverstanden, dass Sie dabei sind, wenn ich bei der Polizei meine Aussage mache.«
63
Zwei Stunden später nahm ich an der Besprechung in Zeke Brennans Kanzlei teil. Ich hoffte, Betty Bradford würde sich bei ihm ebenso gut aufgehoben fühlen wie ich. Im Lauf der Jahre hatte er mir mehr als einmal aus rechtlichen Verwicklungen herausgeholfen. Nur Leute, die nie in einer solchen Lage gewesen sind, machen Anwaltswitze. Für mich ist Zeke ein Held.
Zeke hielt die Besprechung in seinem mittelgroßen Konferenzraum ab, der genau die richtige Anzahl von Stühlen für die kleine Gruppe aufwies, die nun dort versammelt war. Zu Betty, Zeke und mir gesellten sich einer von Zekes Assistenten, der zuständige Bezirksstaatsanwalt und einer von dessen Assistenten, Frank, ein Lieutenant und ein Captain von der Mordkommission sowie Hailey, die als Letzte eintraf.
Hailey war von Lydia verständigt worden, weil sie nach mir das meiste Hintergrundwissen über die Ereignisse von 1958 besaß. Da Zeke mein Anwalt war, wollte die Zeitung alles wasserdicht machen und eine zweite Reporterin dabeihaben. Hailey wirkte nervöser, als ich gedacht hätte - wahrscheinlich war sie verunsichert, weil sie zu spät gekommen war. Zeke sprach bereits, als sie hereinkam. Sie warf mir einen betretenen Blick zu, ehe sie sich rasch der laufenden Besprechung zuwandte.
Auch Betty wirkte nervös, aber das konnte man ihr nicht verdenken. Obwohl ich wusste, dass sie die Frau auf den Fotos war, und daher die Ähnlichkeit erkennen konnte, hatte sie kaum mehr etwas mit dem blonden Flittchen aus den Fünfzigerjahren gemein. Mittlerweile war sie über sechzig. Sie hatte
sich die Haare zu einem natürlich aussehenden Braun gefärbt und war dezent geschminkt. Ihre Kleidung war konservativ.
Der Staatsanwalt und Zeke hatten bereits
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