Totenschleuse
Ohren rauschen. Kaum zu glauben, dass der größte Anteil künstlich sein sollte. Er sah wirklich echt aus, dieser Busen, jedenfalls das, was im Ausschnitt der Bluse zu sehen war, nicht zu groß, gerade so, dass …
»Und jetzt, Herr Kommissar?« Sie hatte seinen Blick bemerkt.
Sein Telefon summte.
»Alles in Ordnung, Gerson?« Hilly war dran, er hörte Rita im Hintergrund dazwischenreden. »Wir haben uns Sorgen gemacht. Eric sagte uns, du bist unterwegs.«
»Ich ermittle.«
»Schön, dann können wir ja Jette Bescheid sagen, dass alles in Ordnung ist. Wir hatten sie schon angerufen. Sie war gerade mit ihrer Reportage fertig geworden. Sie wollte deshalb heute Nacht noch einmal kommen.«
»Danke für den Tipp. Ich muss Schluss machen.« Malbek beendete das Gespräch.
Jette, Hilly und Rita. Das war eine Mischung, die er sich heute Abend auf keinen Fall mehr zumuten wollte. Er hatte mit Jette mehrere Hühnchen zu rupfen. Aber nicht heute Abend. Malbek würde sich ausnahmsweise ein Hotelzimmer gönnen, um dann nach diesem langen Tag endlich ungestört seinen wirren Gedanken lauschen zu können.
»In welchem Hotel könnte man um diese Zeit auf der Insel noch Zimmer bekommen?«, fragte Malbek nachdenklich.
Regina Molsens Hand hatte zur Ohrfeige ausgeholt, aber traf seine Nase, da er sich im Moment seiner Frage ihr zuwandte.
Er schrie auf. Es tat entsetzlich weh.
»Hier.« Sie hatte plötzlich ein Papiertuch in der Hand und streckte es Malbek entgegen. »Und jetzt raus hier, sonst versauen Sie mir die Polster.«
Er hielt sich das Papiertuch vorsichtig gegen die blutende Nase. »Ich lasse Sie nach Kiel vorladen«, sagte er dumpf und stieg aus.
Der Porsche heulte triumphierend auf und verschwand wie ein Raubtier im Dunkel.
16.
Der Wind hatte auf Ost gedreht und die Wolken auf die Nordsee gejagt. Es war sternenklar. Die Kälte hatte die Blutung zum Stillstand gebracht und die Schmerzen betäubt. Nach einer Stunde fand Malbek sein Wohnmobil unter der geknickten Straßenlaterne wieder.
Er betrachtete seine Nase im Rasierspiegel über der Spüle. Leider hatten Reginas Fingernägel Spuren hinterlassen, die einer Katzenkralle verdammt ähnlich sahen. Er öffnete die Regalklappe, hinter der sich die Bordapotheke befand, und entdeckte das Fläschchen Jodtinktur mitten in dem Durcheinander aus Salben, Verbänden, Pflastern, Tinkturen und Medikamenten und eine Schachtel mit großen Heftpflastern.
Als er das Jod auf die Nase tupfte, war es ihm, als würde ihm die Nase aus dem Gesicht gerissen. Er hatte es verdient. Man setzt sich als Polizist nicht in den Porsche einer Zeugin und schaut ihr auf den Busen. Er schnitt sich ein Stück Pflaster zurecht, gab Heilsalbe drauf und klebte es vorsichtig auf die Wunden, indem er die Klebeflächen des Pflasters auf die Nasenflügel drückte. Der Blick in den Spiegel bestätigte seine Befürchtung. Es sah entsetzlich aus. Und es brannte immer noch.
Er sah Regina Molsens Fingernägel im Geiste vor sich. Sie waren lang und hatten geglitzert. Waren sie so unecht wie ihre Brüste? Dann wäre vielleicht die Gefahr einer Infektion nicht so groß. Und Aids? Aids-Übertragung durch künstliche Fingernägel? Wen hatte sie vorher angefasst? Oder gekratzt? … Stopp! Er war dabei, durchzudrehen. Sein Magen knurrte. Am Büfett war er nicht zum Essen gekommen. Im Bordkühlschrank warteten drei gebratene Hähnchenkeulen auf ihn.
Aber zunächst musste er den Platz unter der geknickten Straßenlaterne verlassen. Er fuhr über die Umgehungsstraße nach Westerland. Im Osten sah er die Positionslichter eines kleinen Jets über dem Flughafen niedergehen. Gab es kein Nachtflugverbot auf Sylt? Aber in begründeten Einzelfällen gab es hier wie überall Ausnahmen.
In Westerland fuhr er die Straßen in der Nähe des Strandes ab. Er entschied sich für ein Hotel, das zu einer Kette gehörte. Marba Westerland. Im Marba Leipzig hatte er übernachtet, als es um die Vorbereitung eines bundesweiten Schlages gegen den durch Rauschgift finanzierten Waffenschmuggel ging, im Marba Hannover ging es um eine Fortbildung zum Internetbetrug. Gebucht wurden die Hotels meist von Geschäftsreisenden, die es als angenehm empfanden, dass alle Zimmer die gleiche Ausstattung hatten. Man sollte sich immer in der gewohnten Umgebung wiederfinden, eben wie es sich für ein zweites Zuhause gehörte. Mit seinem Wohnmobil war der Zimmerkomfort nun wirklich nicht zu vergleichen. Aber darauf kam es heute nicht an. Er musste in
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