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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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vermute ich, dass es Teil eines Brillenglases ist. Nur müsste dann eigentlich auch das Gestell irgendwo sein.«
    Soweit Pieplow feststellen konnte, gab es unter den Fundstücken nichts, was auch nur annähernd so aussah.
    »Aber genau wissen wir das erst, wenn die Untersuchung bestätigt, dass es ein optisches Glas ist.«
    Groß, gutaussehend, Brillenträger, hatte Luise Gröning gesagt … Pieplow starrte gedankenverloren vor sich hin.
    »Es wäre schön, wenn Sie mich in Ihre Überlegungen einweihen, mein Lieber. Natürlich nur in solche, die meine Arbeit betreffen.« Der Professor sah Pieplow auffordernd an.
    »Nein. Das heißt, ich weiß nicht … Eine Zeugin glaubt sich zu erinnern, dass dieser Roloff Brillenträger gewesen ist.«
    »Mmhm, tja.« Der Professor spitzte die Lippen und zog die Augenbrauen hoch. »Wenn diese Zeugin ein so gutes Gedächtnis hat, dann fragen Sie sie doch mal nach den Parteiämtern des Herrn.«
    Die Hand des Professors steuerte auf die Kästchen mit den Münzen zu, nahm die größte heraus und hielt auch sie unter das Vergrößerungsglas. Überdeutlich sah Pieplow Poren, Altersflecken und weiße Härchen auf dem Handrücken des Professors, bevor er sich auf die Metallscheibe konzentrierte.
    Keine Münze, erkannte Pieplow. Ein weißes Schild, aus dessen Mitte schwarze rechte Winkel dem roten Rand zustrebten. Davon hatte es Millionen gegeben, und er verstand nicht, warum der Professor diesem hier eine besondere Bedeutung beizumessen schien. »Ich dachte, damals hat jeder Zweite so ein Ding getragen und nur die wenigsten hatten auch irgendwelche Ämter.«
    »Nicht denken! Gucken!«, mahnte der Professor, während er vorsichtig die Schmutzkruste am Rand des Abzeichens zu lösen versuchte. »Das gewöhnliche Parteiabzeichen zeigt das Hakenkreuz auf weißem Grund mit rotem Rand, nicht wie bei diesem auch noch mit goldenem Eichenkranz. Das war damals ein besonderes Bonbon, mein lieber Pieplow. Ein ganz besonderes!« Es gelang ihm, angewidert und triumphierend zugleich zu klingen.
    »Und Sie glauben, das bringt uns irgendwie weiter?«, fragte Pieplow skeptisch.
    »Wer weiß? Wenn wir Glück haben, passt eins zum anderen, und schon wissen wir, welchen Goldfasan wir hier ausgegraben haben. Sobald …«
    »Goldfasan?«, hakte Pieplow nach.
    »Kennen Sie das nicht? So wurden die Träger des goldenen Parteiabzeichens genannt. Natürlich nicht offiziell, sondern, sagen wir mal, im Volksmund. Und die Gravur auf der Rückseite wird auch etwas zu bedeuten haben.« Er drehte und kippte das Abzeichen so lange unter dem Vergrößerungsglas, bis Pieplow sah, worüber er sprach. Die erste Zahl eine Sieben, so viel ließ sich erkennen, von der zweiten nur der Rest einer bauchigen Rundung. Drei? Sechs? Acht? Unmöglich, sie unter dem schmutzigen Belag zu entziffern. »Sobald die Kriminaltechnik den Dreck entfernt und die Gravur lesbar gemacht hat, kann sich unser Herr Böhm ins Studium der Geschichte stürzen und herausfinden, was es damit auf sich hat.«
    Sie grinsten sich an. Der Professor ganz ungeniert, Pieplow ein bisschen zurückhaltender. Schön wär’s, dachte er, wenn gerade Böhm seine Zeit mit etwas so Unspektakulärem wie dem Stöbern in Archiven und alten Verzeichnissen zubringen müsste.
    Zwei Stunden später kreisten Pieplows Gedanken immer noch um das Abzeichen. Polierten es blank, bis es vor seinem inneren Auge weiß und schwarz und rot glänzte, umrandet vom goldenen Eichenkranz. Eine gestochen scharfe Gravur auf der Rückseite. Wem war es verliehen worden, und wofür?
    Wahrscheinlich gehörte es dem Opfer. Hatte an dessen Revers gesteckt, hatte den Verfall überdauert, das Vergehen von Haut und Fett und Muskeln, um eines Tages zwischen die nackten Knochen des Brustkorbs zu wandern.
    Und wenn nicht? Was, wenn der Täter es verloren hatte? Weil es ihm im Kampf abgerissen wurde? Weil es sich löste, als die Grube geschaufelt und der Leichnam hineingewuchtet wurde?
    Pieplow versuchte, sich abzulenken. Ohne Erfolg. Es nützte nichts, dass er sich aus dem zerschlissenen seegrünen Sessel hochstemmte, einen Rundgang durchs Erdgeschoss machte und, zurück in der staubigen Stube, die Buchrücken im Regal studierte, ohne die Titel wirklich zu lesen. Schließlich hockte er vor der Vitrine, um das schwarzbraun marmorierte Album hervorzuziehen. Aber so sorgfältig er auch jedes einzelne Foto betrachtete, er fand weder einen Hinweis darauf, dass einer der Schlesingers Träger des Abzeichens gewesen

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