Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
Vom Netzwerk:
Schutzanzügen krochen noch in der Grube herum. Gesprochen wurde nicht, nur unverdrossen geschabt und gesiebt. Wie Goldgräber auf der Jagd nach dem allerletzten Nugget, ging es Pieplow durch den Kopf.
    Die Kostbarkeiten, die sie zutage förderten, landeten in Schachteln und Kästchen. Jedes beschriftet mit Zahlen und Buchstaben, auf die sich Pieplow keinen Reim machen konnte. Wie zu einem riesigen Setzkasten geordnet, standen sie auf einem großen Tisch, über den sich, die Hände auf dem Rücken verschränkt, der Professor beugte. Bisweilen löste er eine Hand aus der Verschränkung, um ein Gefäß zu schütteln, etwas herauszunehmen und es durch eine tellergroße Lupe genauer zu betrachten. Er schien so versunken in seine Arbeit, dass Pieplow fürchtete, ihn zu erschrecken, wenn er sich ohne Vorankündigung neben ihn an den Tisch stellte.
    »Herr Professor?«, rief er deswegen halblaut schon aus einigen Metern Entfernung. Trotzdem blinzelte der Professor so lange verwirrt in die Dunkelheit, bis Pieplow ins Licht trat.
    »Ah, unsere Wachablösung! Ist es denn schon so spät?«
    Für den Professor mochte es spät sein, für Pieplow fing eine weitere Nachtschicht kurz nach sieben reichlich früh an. Blieb nur zu hoffen, dass die Graberei morgen ein Ende hatte und das Haus dann wenigstens provisorisch verschlossen werden konnte. Nach dem Besuch bei Luise Gröning war ihm gerade genug Zeit geblieben, den Fahrdienst für Kästner zu absolvieren und sich auf dem Rückweg im Hiddenseer ein Abendessen zu gönnen. Jetzt stand ihm der Sinn nach ein, zwei Bieren und einem ungestörten Feierabend in den eigenen vier Wänden, in denen er noch zwei Nächte Ruhe hatte, bevor Benzlau seine berühmte Stimmung in die Bude brachte.
    »Kommen Sie, mein Guter!« Der Professor winkte Pieplow zu sich herüber. »Schauen Sie sich unsere Entdeckungen noch an, bevor alles bei der Kriminaltechnik verschwindet.«
    Auf den ersten Blick schien der Inhalt der Schachteln nichtssagend. Schwarzgraues Granulat, das eine oder andere größere Bröckchen darunter. Ein paar kleine Stücke, die nach Muschelbruch aussahen. Der Professor schob einzelne Krumen vorsichtig mit einer Pinzette hin und her.
    »Was sagen Sie dazu?« Er sah Pieplow erwartungsfroh an.
    »Muschelstücke?« Pieplow war schleierhaft, worin, keine zweihundert Meter vom Strand entfernt, das Besondere dieses Fundes liegen sollte.
    »Richtig! Aber keine, die Sie hier mal eben aufsammeln können. Diese hier …«, das helle Stückchen schwebte zwischen den Pinzettenspitzen ins Licht und unter die Lupe, »… kommt aus südlicheren Gefilden. Afrika vielleicht, oder Asien. Die Perlmuttschicht unserer heimischen Muschelarten ist nämlich zu dünn für Knöpfe.«
    Als sei das Erklärung genug, legte der Professor den unscheinbaren Splitter zurück, bevor Pieplow mit eigenen Augen hätte erkennen können, dass oder warum es sich um den Teil eines Knopfs handelte. Hätte er danach suchen müssen, wäre es ihm sicher ebenso entgangen wie die kleinen metallenen Ringe, die der Professor als die Schnürsenkelösen von Schuhen identifizierte. Immerhin hätte er die Gürtelschließe wohl nicht übersehen, auch die Krawattenklammer nicht oder die Münzen, die sich dunkel vom Boden einer hellen Schachtel abhoben.
    »Zusammenfassend lässt sich also Folgendes sagen …« Der Professor wandte sich zu Pieplow um und ließ ihn in den Genuss einer Privatvorlesung kommen. »Der Tote war ein relativ großer Mann noch unbestimmten Alters. Ob wohlhabend, wissen wir noch nicht, dafür müssen wir noch mehr über ihn in Erfahrung bringen, aber höchstwahrscheinlich nicht arm. Kein Seil oder Gurt im Hosenbund, sondern ein Gürtel feinerer Machart. Keine Holzpantinen, sondern solides Schuhwerk. Vollständiges Gebiss, soweit ich bisher sehen konnte. Brillen- und Schlipsträger …«
    »Woher wissen Sie das?«, unterbrach Pieplow ihn harscher als beabsichtigt.
    »Weil wir die Krawattennadel …«
    »Nein, woher wissen Sie, dass er eine Brille trug?«
    »Nun ja, wissen ist vorerst vielleicht zu viel gesagt. Aber ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass dies hier Teil eines Brillenglases ist.« Er fischte ein erdiges Bruchstück aus einem der Behälter und legte es unter die Lupe. Ein schmaler Streifen war oberflächlich gereinigt und ließ eine Glasscherbe erkennen. »Sehen Sie die Bruchkanten?«
    Pieplow nickte.
    »Die dritte Seite des Splitters ist abgerundet und das Glas verhältnismäßig dünn. Deswegen

Weitere Kostenlose Bücher