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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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kiebig die eine, die andere blond, mit einer wilden Mähne wie Lissi, aber sanft und verträumt und schnell in Tränen aufgelöst. Von den Brüdern, die Fischer werden wollten, wie es der Vater gewesen war, und schon jetzt geschickter mit Ruder und Aalschnüren hantierten als mit Schiefertafel und Griffel.
    Er lächelte, das konnte sie trotz der Dunkelheit sehen und auch, wie sein Gesicht sich veränderte, als sie fragte, was er werden wolle.
    Ornithologe, sagte er und wirkte dabei viel entschiedener, als sie es von ihm kannte. Und auch wenn sie sich wunderte, dass es ein richtiger Beruf sein sollte, Vögeln beim Fliegen und Nisten und Brüten zuzusehen, hörte sie ihm gern zu. Seine Stimme klang dunkel und sicher, während er ihr erklärte, worüber sie sich noch nie Gedanken gemacht hatte. Wohin die Vögel zogen und warum. Woher sie die Zeiten für Abflug und Rückkehr kannten. Welche Experimente ihnen ihre Geheimnisse entlocken sollten.
    Am Ende des Sommers wusste Lissi über den Vogelzug bestens Bescheid und außerdem, dass es im Strauchwerk hinter dem Haus am Meer einen Sprosser gab, der die ersten Takte des Radetzkymarschs pfiff.
    Aber wir, Clara und ich, bekamen Lissi kaum zu Gesicht, und so war ich es, die als Erste erfuhr, dass Friedrich fortging. Nicht wie sonst nach Tallinn oder St. Petersburg. Daran hatten sich alle gewöhnt und manche wohl geglaubt, das Leben auf See habe Friedrich die großen Flausen ausgetrieben. Seine Mutter zum Beispiel, die auch jetzt nicht verstand, was ihn fortzog. Vera Cruz, Santiago, Shanghai! Und was, wenn er nicht wieder heimkam?
    Das, sagte Friedrich mit der gleichen stoischen Entschlossenheit, die sie von seinem Vater kannte, sei dann auch nicht zu ändern und besser als ein Leben lang im Ostseeschlick herumzurutschen.
    Ihr Gesicht wurde in diesen Wochen hart und verschlossen. Vielleicht aus Wut über so viel Hochmut, bestimmt aber aus Angst um den Jungen, der eigentlich schon ein Mann war. Groß und muskulös, mit starken, sehnigen Händen.
    Bis zu seiner Abreise blieb ihm diesmal mehr Zeit als sonst, und so streunte er wie ein Kind über die Insel. Zum Gellen hinunter, an dem vorbei ein Schiff nach Stralsund zu lenken so viel Geschick forderte. In die Häfen, die so viel kleiner und gemächlicher waren als die, die er inzwischen schon kennengelernt hatte. Spät in der Nacht ins Hochland hinauf, um ganz allein zu sein. Über sich den hohen, weiten Himmel, das Land unter sich nur eine Ahnung. Bis die Sonne aufging und den Dunst mit Licht füllte, in dem die Kronen der Bäume zu schweben schienen wie in milchigem Bernstein.
    Er nahm Abschied. Wenn er gewusst hätte, für wie lange, wäre er vielleicht gar nicht gegangen. Und hätte Clara nicht oben an seinem Lieblingsplatz über der Schlucht das Blaue vom Himmel herunter versprochen.
    Briefe, so oft es ging, und so genau, dass sie glaubte, sie sei selbst mit an Bord.
    Gold aus Vera Cruz und Seide aus Shanghai.
    Und aus Santiago?
    Er wusste es nicht. Zur Not eine Handvoll Salpeter.
    Sie lachte, den Kopf leicht geneigt, wie es ihre Gewohnheit war, und strich sich ein paar helle Strähnen aus dem Gesicht.
    Lachend, in einer Brise aus Nordwest, die den Rock ihres Sommerkleides gegen ihre Beine drückt und ihr Haar aus dem Zopf löst, so konnte er sie in Erinnerung behalten.

11
    »Vorbildliche Berufsauffassung«, witzelte Kästner und riss die Tüten auf, die Pieplow zwischen Teller und Tassen in die Mitte des Tisches gelegt hatte.
    »Morgen, Daniel. Setz dich und hör einfach nicht hin.« Mit einer Geste wies Andrea Kästner auf den Platz, an dem für Pieplow gedeckt war.
    »Als wenn er das jemals täte«, konterte Kästner. Bevor er den Frühstückstisch vollkrümeln konnte, griff seine Frau nach der Tüte, um die Brötchen in einen Korb, die Berliner auf einen Teller zu legen.
    »Eure Junggesellenmanieren könnt ihr auf der Wache pflegen.«
    Kästner grummelte etwas Unverständliches, nahm mit seinem Messer kurz Maß, köpfte dann mit einem gezielten Hieb aus dem Handgelenk sein Frühstücksei und traf dabei so genau, dass die Dotterhaut unter der weißen Kappe unverletzt blieb.
    Pieplow sagte nichts. Ihn störte Kaffee aus teilgespülten Bechern und Kuchen von der Bäckereipappe nicht, trotzdem hätte er gern öfter ein Frühstück wie dieses gehabt. Fehlte nur die Frau, die es ihm hinstellte.
    Es zeigte sich, dass Andrea nicht nur den Gang der Ermittlungen kannte, sondern auch als eine Art Hilfspolizistin bei den Alten des

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