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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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entschließen, nach dem Namen des Mädchens zu fragen.
    Er spürte ein Prickeln wie von kurzgeschlossenen Drähten auf Hals und Schulter und hantierte wortlos mit Teekanne und Tasse. Ließ Zuckerwürfel hineingleiten und konzentrierte sich darauf, wie sie in der bernsteingoldenen Flüssigkeit versanken. Rührte so vorsichtig um, als habe es eine magische Bedeutung, dass Löffel und Tasse nicht klimperten.
    Je länger er rührte und auf den hell schimmernden Punkt in der Mitte des Strudels starrte, desto klarer wurde ihm, dass er nicht derjenige sein wollte, der ans Licht zerrte, was so lange verborgen geblieben war. Er wollte keine Löcher in die Deckung reißen, hinter der diese Frau Schutz gesucht und wohl auch gefunden hatte.
    Als er aufsah, begegneten seine Augen dem ernsten Blick, mit dem Luise Gröning ihn musterte. Bevor er sprach, setzte er die Tasse ab, lehnte sich im Sessel zurück und stellte fest, dass die Anspannung von ihm gewichen war.«Ich muss nach ihrem Namen fragen.«
    »Ich weiß.« Luise Gröning nickte. »Aber ich muss Ihnen nicht darauf antworten. Ich werde ihren Namen für mich behalten, weil er Ihnen nichts mehr nützen kann. Die Frau lebt schon lange nicht mehr, und ich bin davon überzeugt, dass sie mit niemandem über das gesprochen hat, was damals geschehen ist. Warum also ihren Kindern sinnlose Fragen zumuten?«
    »Trotzdem haben Sie mir das alles erzählt. Ich nehme an, weil Sie glauben, es könnte Bedeutung für unsere Ermittlungen haben.«
    »Die Möglichkeit besteht doch, oder sehen Sie das anders?« Es klang fast ein wenig amüsiert, wie Luise Gröning fragte. »Zwei Gewalttaten in räumlicher und zeitlicher Nähe. Nicht etwa in der Großstadt, wo so etwas alle naslang passiert, sondern hier in dieser Idylle.«
    »Schon, aber … Vorausgesetzt, es gibt diese Bedeutung – welche Beweise können wir dafür noch finden? Und es ist ja wirklich niemandem damit gedient, wenn wir uralte Geschichten aufwühlen, von denen am Ende nichts bleibt als dunkle Gerüchte und übles Gerede.« Pieplow dachte an Böhm, der solche Skrupel bestenfalls albern finden und ohne Umwege auf sein Ziel lospreschen würde. Ohne Rücksicht und ohne Zweifel an dem, was er tat.
    »Ich sehe, wir verstehen uns«, stellte Luise Gröning zufrieden fest. »Ich wollte nichts verschweigen, was Ihnen vielleicht weiterhilft, aber auch nichts aussprechen, womit ich Schaden anrichte. Mir scheint, bei Ihnen ist dieses Dilemma gut aufgehoben.« Als habe sie seine kleinlauten Gedanken gelesen, ergänzte sie mit einem Lächeln: »Keine Sorge, ich kenne mich mit Hierarchien aus, das können Sie mir glauben. Und ich weiß, dass Sie Ihre Berichte zu schreiben haben. Sollte mich also jemand fragen, haben Sie in der letzten Stunde einer alten Irrenärztin Gesellschaft geleistet. Sonst nichts. Es sei denn, Sie haben noch Fragen, die ich beantworten soll.«
    Pieplow schüttelte den Kopf. »Ich denke, nicht.« Ihr Vertrauen schmeichelte ihm, auch wenn er nicht wusste, womit er es verdient hatte.
    Die Sonne war mittlerweile hinter die Baumkronen gewandert, durch die Wipfel sickerte unruhiges Licht in den Raum. Der Tee stand kalt und ölig in den Tassen, zwischen die Pieplow das Foto vom Dornbusch legte. Luise Gröning erkannte die Schlesingers sofort. Sogar an die Namen der erwachsenen Kinder erinnerte sie sich. Herbert, Horst, Victoria und Richard, der Jüngste. Aber als Pieplow nach dem Mädchen fragte, das oben rechts an der Treppe stand, halb abgewandt von der Familie, schüttelte sie den Kopf. Ein Zimmermädchchen, das sah man doch an Haube und Schürze. Was sollte mit ihr gewesen sein?
    »Unbekannt« notierte Pieplow und auch, dass Luise Gröning über den Ingenieur nicht mehr wusste, als dass er ein großer, gutaussehender Mann gewesen war. Brillenträger, wenn sie sich richtig erinnerte.

    Alle schweren Geräte waren fort. Dort, wo am Morgen das Gestell mit dem Transportbehälter für das Skelett gestanden hatte, lagen jetzt nur noch einzelne Bretter, die nicht mehr gebraucht wurden. Die Scheinwerfer wirkten in der heraufziehenden Dämmerung viel greller als in der Tageshelligkeit. Ihr Licht schnitt ein großes, kaltes Rechteck aus den weichen Konturen des Gartens, der Pieplow nach dem Trubel des Vormittags fast verlassen vorkam. Es wurde zwar noch gearbeitet, aber am Tor war niemand mehr, der neugierig herumlungerte. Nirgendwo ein Polizist, weder in Uniform noch in Zivil. Nur die vier Männer in ihren längst nicht mehr weißen

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