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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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schlank und jeder auf seine Weise elegant. Er stets in Anzug, mit Hut und Krawatte. Clara in den Kleidern, die sie so liebte. Hell, mit Streublumenmuster und weiten, schwingenden Röcken.
    Und doch spürte ich jedes Mal ein Frösteln, wie es einen überkommt, wenn man fühlt, dass etwas falsch ist, und man es trotzdem geschehen lässt.
    Aber was hätte ich tun können?
    Wie oft habe ich mich das seitdem gefragt und immer nur die nächste Frage gefunden. Woher, gütiger Himmel, hätte ich wissen sollen, von wem sie sich da umwerben ließ, meine schöne, traurige Clara.

13
    Pieplow rückte seine Dienstmütze zurecht und machte sich auf den Weg Richtung Deich. Eine halbe Stunde durchpusten lassen, bis der Kopf wieder frei war und das unvernünftige Kribbeln sich legte, das ihn überkam, wenn er an Marie dachte. Daran, ihr gleich gegenüberzustehen. Ihr in die Augen zu sehen, in die das Leuchten zurückgekehrt war. Ihr Lächeln, das endlich nicht mehr künstlich und aufgesetzt wirkte, seit es ihr besser ging. Lange hatte es gebraucht, bis es so weit war. Mehr als ein Jahr. Ihn hatte sie nicht täuschen können mit ihrer geschäftigen Tüchtigkeit. Er hatte gesehen, wie sie sich abmühte, damit niemand merkte, wie ihr wirklich ums Herz war. Dass nicht alles wieder gut wurde, weil das Schlimmste überstanden war. Weil sie ihr Kind wieder hatte. Gesund. Fröhlich, als sei nichts geschehen. Maries Angst hatte trotzdem nicht weichen wollen. Hatte sie aus dem Schlaf gejagt und nächtelang neben dem Kinderbett wachen lassen.
    Damit war es Gott sei Dank vorbei. Genau wusste er nicht, woran es lag. Aber wenn ihn nicht alles täuschte, ging es ihr besser, seit sie so oft nach Kloster fuhr. Aufrecht auf ihrem altmodischen Fahrrad, das dunkle Haar offen, radelte sie gegen den Wind und schien wieder eins mit sich selbst.
    Pieplow war sich nicht sicher, ob er wissen wollte, was hinter diesen Fahrten steckte. Oder besser: wer. Denn daran, dass es ein Mann war, hatte er keinen Zweifel. Wofür sonst überließ sie ihr Kind stundenlang Hedwig Buhrow? Nur eins war sicher, zu ihm wollte sie nicht, wenn sie in Kloster war. Leider nicht.
    Pieplow seufzte und machte einen rücksichtsvollen Bogen um eine Gruppe Japaner. In arktistauglichen Anoraks gegen die Herbstbrise bestens geschützt, umrundeten sie die Mühle und knipsten ausgiebig die Schindelhülle. Später, auf den fertigen Bildern, würde sie schwarzbraun schimmern wie gestutztes Gefieder.
    Südlich der Mühle lag der Deich menschenleer in der Sonne. Nachsaison. Das sah man auch an den Häusern, von denen einige mit ihren fest geschlossenen Läden schon winterfest wirkten, während woanders noch gewerkelt wurde. Rasen gemäht, Sträucher beschnitten. Türen und Fenster lackiert, denen Sonne und Salz so zusetzten, dass sie trotz aller Mühen den stets brüchigen, verwitterten Charme alter Häuser am Meer ausstrahlten.
    Pieplow schritt zügiger aus, als er die zerfledderten Riesendächer des Seeblick erreichte. Er verließ den Deich und stand bald darauf zwischen Fines Hortensien vor Maries Tür.
    Sie öffnete selbst und sah wundervoll aus. Nicht anders als sonst. In Hosen, die Ärmel der langen Hemdbluse wegen irgendeiner Arbeit hochgekrempelt. Wirklich wundervoll.
    »Daniel!« Sie lachte ihn an. »Komm rein.« Er nahm die Mütze ab und trat in die Diele. Dass sie ihn umarmte und ihn auf die Wange küsste, war schön. Ihre kräftigen braungebrannten Arme um seinen Hals, ihr Duft.
    Und doch fand er, sie sollte das nicht tun. Ihn umarmen und küssen und ihn so dazu zwingen, so schnell es ging, offiziell zu werden. Ihren Körper und ihre Berührung zu ignorieren und das, was sie in ihm auslösen könnten.
    »Schön, dass du wieder mal kommst. Leonie schläft zwar noch, aber sie wird sich freuen, dass du da bist.«
    »Eigentlich … also, ich meine, es ist mehr dienstlich …«, haspelte Pieplow. Er drehte seine Mütze zwischen den Händen und fand sich unmöglich. Kein Wunder, dass ein anderer das Rennen gemacht hat, dachte er verdrossen. Wahrscheinlich einer, der ganze Sätze herausbringt, auch wenn sie vor ihm steht und ihn anlächelt.
    »Schade.« Das Strahlen in ihren Augen verlor an Glanz. Es wirkte bockig und angriffslustig zugleich, wie sie ihre Hände in die Hosentaschen stopfte. »Worum geht es denn? Was haben wir …?« Ihre Stimme war höher, gepresster geworden, und die Frage blieb in der Luft hängen.
    Pieplow schimpfte sich stumm einen Idioten. Nichts hatte ihn gezwungen,

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