Totenseelen
Dahlke, Pieplow … und wie hieß der Dritte im Bunde?«
»Richleben«, antworte Pieplow entnervt.
»Ja, richtig! Die senile Bettflucht. Das muss man sich mal vorstellen: Morgens um sechs hocken sich die beiden alten Knacker hin und erforschen Parteiabzeichen! Na, immerhin waren sie erfolgreich, das ist doch wenigstens etwas.«
Wenigstens etwas war auch, dass Kästners Laune so gut war wie seit Tagen nicht mehr. Sie schlug erst wieder um, als Böhm sie nach Kloster zitierte. Beide. Und ein bisschen plötzlich, wenn sie wüssten, was das hieß.
»… wenn Sie wissen, was das heißt!«, äffte Kästner ihn nach. Sein Zeigefinger machte eine Drehbewegung an der Schläfe. »Schraube locker. Absolut größenwahnsinnig. Mehr sag ich dazu nicht.« Und mehr sagte Kästner tatsächlich nicht. Weder auf der Fahrt nach Kloster noch während Böhms Vortrag in kleiner Runde an Schlesingers Gartentisch. Malek, Pieplow, Kästner. »Dass wir ein paar aufschlussreiche Hinweise auf die Identität des Toten gefunden haben, wissen Sie hoffentlich bereits.« Böhm blickte ungeduldig zu den beiden Dorfpolizisten, die rasch und nachdrücklich nickten, auch wenn das Wir für Pieplows Geschmack zu ungenau beschrieb, wer hier was herausgefunden hatte.
»Wenn sich bestätigen sollte, dass der Tote tatsächlich Dietrich Roloff ist, stellt sich die Frage nach dem Verbleib von Geld und Gepäck. Bei der Leiche war jedenfalls weder das eine noch das andere. Raubmord wird also immer wahrscheinlicher. Zweitausend Reichsmark waren kein Pappenstiel. Erst recht nicht für das Gesocks, das sich damals hier herumgetrieben hat.«
»Wollen Sie mit Gesocks auf was Bestimmtes raus?«, fragte Kästner nun doch in provozierend einfältigem Ton.
»Allerdings. Vielleicht rufen Sie sich mal Ihre eigenen Ermittlungsergebnisse in Erinnerung und die Tatsache, dass im Tatzeitraum ein paar Hundert mehr oder weniger abgerissene Tagelöhner auf der Insel waren? Von denen hat jeder einzelne zweitausend Reichsmark gut brauchen können, da sind wir uns doch wohl einig.«
Nun ruhte Böhms Blick auf Malek, und es war an ihm, bestätigend zu nicken.
»Das war wohl so«, räumte Pieplow ein. »Komisch ist nur die Sache mit dem Bett.«
»Bett?« Böhm starrte Pieplow entgeistert an. »Von welchem Bett, zum Kuckuck, reden Sie?«
»Waltraud Pape hat davon gesprochen, dass Roloffs Vermieterin, Hertha Möhle, dessen Zimmer frühmorgens vorgefunden hat, als sei er abgereist. Schrank ausgeräumt, alle Papiere und das Gepäck weg, Bett gemacht. Steht alles in meinem Bericht.«
»Ja, und? Im Gegensatz zu Ihnen kann ich daran nichts Komisches entdecken.«
»Polizeiobermeister Pieplow will sagen, dass es wohl wenig Sinn gemacht hätte, nachts seine Sachen zu packen und die Pension zu verlassen, nur um sich dann stundenlang in der Dunkelheit herumzudrücken. Abreisen konnte man damals nur am Tag, und ein Überfall am helllichten Morgen? Hier? Nee! Wir halten das für unwahrscheinlich.«
»Sehr unwahrscheinlich«, echote Pieplow und fragte sich, wann Böhm dahinterkam, dass ihm gerade seine schlampige Aktenarbeit unter die Nase gerieben wurde. Malek jedenfalls roch den Braten, das zeigte sein unruhiger Blick.
Pieplow zuckte mit keiner Wimper.
Höchste Zeit, Böhm auf das zurückzustutzen, was er war. Ein Hanswurst. Einer mit Sonnenbrille und Polizeimarke zwar, aber ein Hanswurst.
»Wie dem auch sei«, schwadronierte Böhm weiter, »Raubmord ist als Arbeitshypothese das Naheliegendste. Ob und wie viel sich da noch ermitteln lässt, wird sich zeigen. Auf jeden Fall werden Sie beide sich auf diese Stoßrichtung konzentrieren. Und mit etwas mehr Engagement, wenn ich bitten darf. Zwanzig von hundert angeordneten Befragungen in drei Tagen sind mehr als dürftig. Sie sollen …«
»Zwei.« Kästner hob eine Hand, Daumen und Zeigefinger abgespreizt. »Es waren nur zwei Tage. Den ersten kann man nicht mitrechnen. Da hatten wir noch keine Anweisungen. Außerdem …«
»Ja, ja«, blaffte Böhm. »Ich denke, ich habe mich trotzdem klar genug …«
»… außerdem kommen noch die Ergebnisse von neunzehn Befragungen in Neuendorf dazu. Heute Morgen erst abgeschlossen. Bericht im Laufe des Tages«, verkündete Kästner im Rapportton. Vom Scheitel bis zur Sohle Polizeiroutinier.
Pieplow staunte, blieb aber stumm. Lügen fasste man am besten so kurz wie möglich. Mit jedem weiteren Wort wuchs nur die Gefahr, sich in Widersprüche zu verwickeln. Irgendwie würde Kästner diesen Bericht
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