Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
war und sich bedroht fühlte, wollten der Sache noch mal nachgehen. Das Ganze wird als Unfall abgehakt und fertig. Aber nein, Sie rufen nicht die Polizei.«
»Was vermuten Sie, warum?«
»Hier beginnt der Teil, in dem Sie sehr kaltblütig werden. Beck liegt also tot in seinem Haus, und Sie stecken die Leiche in die Gefriertruhe in der Hoffnung, dass sie da eines nicht allzu fernen Tages gefunden wird. Was ja geschehen ist. Die Spuren am Tatort – wenn ich ihn so nennen darf – führen uns aber interessanterweise nicht zu Ihnen, sondern zu Albert Kieling. Es gibt ein Haar von Kieling auf der Leiche, es gibt die Kaffeetasse mit den Fingerabdrücken, Kieling war scheinbar als Letzter bei Uwe Beck – jedenfalls wurde sein Wagen dort gesehen.«
»Er war da.«
»Nachdem ihn jemand aus einer Telefonzelle angerufen hatte. Kieling behauptet, er sei zu Becks Haus gelockt worden.«
»Denkbar.«
»Wie haben Sie das mit dem Haar und der Kaffeetasse gemacht?«
»Ich wusste ja von Ihnen, dass er im Semmelwein seinen Stammtisch hat. Ich bin also abends hin, hab geschaut, welchen Mantel er an die Garderobe hängt, und hab mir ein paar Haare vom Kragen gepickt. Das mit der Kaffeetasse hat sich zufällig ergeben. Die Bedienung hatte sie gerade bei Kieling abgeräumt und auf den Tresen gestellt. Es ist nicht schwer, eine Kaffeetasse zu stehlen.«
»Sie haben also Becks unglückliches Ableben dazu benutzt, um Kieling einen Mord anzuhängen.«
»Sieht so aus.«
Wallner musste erst mal durchschnaufen. »Sie bringen mich ziemlich in Schwierigkeiten.«
»Das tut mir leid. Aber ich hab’s nicht zum Vergnügen gemacht.«
Wallner zog das Foto von Frieda Jonas’ Todesschützen aus der Tasche und reichte es Lukas. »Hat Beck Sie damit erpresst?«
Lukas blickte kurz auf das Bild und gab es Wallner zurück. »Wo haben Sie das her? Ja wohl nicht aus dem Ordner.«
»Nein. Wir haben die Negative gefunden.«
»Wieso weiß ich davon nichts?«
»Das ist, offen gesagt, in der Hektik um Claudias Entführung untergegangen. Die beiden Ereignisse haben sich gewissermaßen überschnitten. Und als die Fotos aus dem Labor kamen, waren Sie in München bei den Zielfahndern.«
»Verstehe.«
»Wer ist das?« Wallner hielt Lukas das Foto vor die Augen.
»Das wissen Sie doch. Gegenfrage: Wie sind Sie dahintergekommen?«
Wallner steckte das Foto wieder in eine Klarsichthülle. »Kieling hat erwähnt, dass ein SS-Mann namens Kurt Lohmeier damals am Sakerer Gütl dabei war. Da hat es bei mir geklingelt. Ich musste an Ihren Onkel Kurti bei der SS denken. Dann hab ich in Ihre Personalakte gesehen: Voilà! Ihre Mutter war eine geborene Lohmeier.«
Lukas nickte. »Und jetzt?«
»Sagen Sie mir, was passiert ist?«
66
2. Mai 1945
S ebastian Haltmayer saß auf einem alten Stuhl, den er aus dem Haus geholt hatte, und rauchte eine dünne Zigarre, als der Volkssturmjunge mit den beiden SS-Männern zurückkam. Der andere bewachte mit nervösem Blick die Frau, die auf der Hausbank saß. Als die SS-Leute näher kamen, stand Haltmayer auf und begrüßte sie mit einem zackigen Heil Hitler.
»He, wen hamma denn da!«, sagte Oberscharführer Lohmeier, als er Erich Lukas sah, seinen fünfzehnjährigen Neffen.
»Heil Hitler!«, grüßte der junge Erich und ließ vor lauter Eifer sein Gewehr auf den Boden fallen, als er den Arm nach oben riss.
»Was ist das denn für eine Pfeife?«, murrte Hauptscharführer Kieling. Der Satz traf Erich Lukas ins Mark, und das Blut schoss ihm in den Kopf. In diesem einen Moment lösten sich alle seine hochfliegenden Träume in eine Staubwolke auf, und die schiere Verzweiflung legte sich um seinen Hals. Er hatte seinen Onkel vor dessen Vorgesetztem blamiert, und das in einem Augenblick, der sein größter Triumph hätte werden sollen. Als der SS-Mann Kieling dem SA-Mann Haltmayer Anweisungen gegeben hatte, hatte Erich Lukas sehr wohl gesehen, dass auch sein Onkel Kurt dabei war. Aber er hatte sich Kurt gegenüber nicht zu erkennen gegeben. Denn er hatte gehofft, sich bei dem Auftrag zu bewähren und als strahlender Held vor seinen Onkel zu treten. Und tatsächlich waren seine kühnsten Hoffnungen in Erfüllung gegangen: Er hatte die Flüchtige verhaftet, er ganz allein, als sie versuchte, aus ihrem Versteck zu fliehen. Und dann hatte er sie nicht mehr aus den Augen gelassen und sich die ganze Zeit, in der sie auf die Rückkehr der SS-Männer warteten, ausgemalt, wie der SA-Mann Haltmayer ihn, Erich, vor seinem Onkel in den
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