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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Gaunereien in der Zeitung steht. Ich nicht. Nein.« Dann beugte er sich vor, und seine Stimme wurde zu einem Raunen. »Ich bin derjenige, der für diesen Hurensohn geradesteht.«
    Aal fragte sich, wann und wo die Konzepte der Bruderliebe und des Einstehens füreinander zwischen diesen beiden verloren gegangen war. Falls sie überhaupt jemals existiert hatten. Keiner von beiden hatte je über ihre Kindheit gesprochen, über die Aal so gut wie nichts wusste. Er stellte sich vor, dass sie von klein an verschlagene Rivalen gewesen waren, die schon bei der Geburt im Wettstreit darüber waren, wer die Gebärmutter als Erster verlassen durfte, die danach ihre eigenen Wege gegangen waren und dabei immer über die Schulter gesehen hatten, um zu sehen, wie es dem anderen erging. Und jeder fragte sich wahrscheinlich, was geschehen wäre, wenn er den Weg des anderen eingeschlagen hätte.
    »Ich werde ihm ausrichten, was Sie denken«, meinte Aal.
    »Machen Sie sich keine Umstände. An mich wird er sowieso erst als Letztes denken, und wenn er nicht weiß, dass es meine Idee war, steht er ihr vielleicht aufgeschlossener gegenüber.« Mullavey sah zu Aal hinüber, als falle ihm jetzt erst auf, dass dieser den Arm in der Schlinge trug. »Angesichts Ihrer Beziehung zu ihm sollten Sie davon ausgehen, dass Ihre Sicherheit nun auch in Gefahr ist.«
    »Sagen wir mal, ich weiß, wie man nicht auffällt.« Er lächelte grimmig, während seine Schulter weiter schmerzhaft pochte. »Aber wenn ich gehe, würde ich gern einen der Männer mitnehmen, damit er mir Rückendeckung geben kann.«
    »Sicher, sicher, einen kann ich durchaus entbehren.«
    »Hogarth?«
    »Wen immer Sie wollen.«
    Aal lächelte erneut sein schmallippiges und blutleeres Lächeln, und Mullavey würde nie erfahren, warum er das tat. Hogarth war der Letzte aus dem inneren Kreis der Rituale und feierlichen Bekenntnisse. Der Rest war seit der letzten Nacht tot. Hogarth und Mullavey waren auch die Letzten, die überhaupt von seiner unterirdischen Kammer wussten.
    Mullaveys Blick wanderte hinüber zu den Fenstern, die auf die abschüssige Landschaft seines Gartens und die länger werdenden Schatten, die immer näher an das Haus herankrochen, hinausgingen. Er trank Brandy aus der Flasche und schwafelte philosophisch über den Untergang von Imperien und den Staub, zu dem sie zerfielen. Aal stand es eine Minute lang durch, noch eine zweite, dann entschloss er sich, dass es Zeit war zu gehen; er würde Hogarth holen, und sie würden sich auf den Weg machen.
    Bis ein lauter Knall aus den Tiefen des Hauses ihre Aufmerksamkeit erregte.
    »Was, zum Teufel, war denn das?«, fragte Mullavey, erhob sich, und in diesem Augenblick sah Aal seine verletzliche Seite. Die Furcht, dass seine Festung aus Seriosität trotz allem einstürzen könnte. Aals Hand wanderte zum Griff seiner Pistole, und sie gingen zur Tür, eine Tandembestie mit vier Beinen und zwei guten Armen.
    Aals Puls beruhigte sich als Erstes wieder; mit jedem Schritt wurde ihm klarer, dass dies kein Notfall war. Es gab keine alarmierten Schreie, keine Schüsse … aber er folgte Mullavey, als dieser mit der übertriebenen Vortäuschung eiskalter Nüchternheit, wie sie nur Betrunkene imitieren können, vorausschritt.
    Als sie in der großen Halle um die Ecke bogen, standen sie auf dem Läufer unter den geschwungenen Eisenlüstern … und sahen Evelyn Mullavey, die das Heraustragen ihres Gepäcks überwachte. Sie glich einer gerade abgesetzten Königin, deren stoischer Stolz ungebrochen war.
    Aals Mund verzog sich zu einem verschlagenen Grinsen, das er aber schnell unterdrückte; das konnte jetzt wirklich interessant werden.
    Mullavey stieß einige gutturale Laute aus, ging dann auf Socken weiter vorwärts, während ein mit Koffern beladenes Trio aus haitianischen Hausangestellten an ihm vorbeieilte. Offenbar waren ein oder zwei Gepäckstücke die Treppe hinuntergefallen.
    »Evie?«, sagte Mullavey sehr sanft, sehr verletzt. »Evie. Was machst du?«
    Sie blieb an der Haustür stehen und sah mit milder Verachtung zu ihm hinüber. »Du hast verdammt gute Instinkte, Drew, warum nutzt du sie nicht und findest das Offensichtliche selbst heraus?«
    Das Kommen und Gehen in der Halle war zum Stillstand gekommen. Mullavey hatte viele Jahre im Blickpunkt der Öffentlichkeit gelebt, sowohl triumphierende als auch aufreibende Augenblicke erlebt, und Aal fühlte mit ihm, das tat er wirklich. Dies war ein Moment, der nach Privatsphäre schrie, und

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