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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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ich vorgegeben. Interessant. Dabei war ich gar nicht der Typ, der die Truppen hinter sich scharte und auf ein gemeinsames Ziel einschwor. Ich kannte mich nur als Einzelgängerin. Ich war der Querschläger in jeder Runde. Meine Frage nach der Herrschsucht als Grundmotiv allen mörderischen Handelns hatte das Kollektiv ignoriert. Nicht verstanden.
    »Verschwörung? Was für eine Verschwörung denn?«, fragte Meisner verärgert.
    Hatte ich das Wort Kalteneck-Verschwörung an diesem Abend gebraucht? Nein. Den Titel hat die Angelegenheit erst später von der Presse bekommen. Damals dachte noch niemand an eine Verschwörung. Man hatte Juri Katzenjacob verhaftet, den Malergesellen mit emotionalen Defiziten und perversem Interesse für blutige Leichen. Oder wusste einer in der Runde mehr? Andererseits dachten wir immer gleich an Verschwörung, wenn etwas aus dem Ruder lief.
    Der Tisch kippelte herum und blieb plötzlich stehen. Niemand hatte mitbuchstabiert. Doch, einer: Richard. » N «, sagte er.
    Ich war erleichtert. Also war ich es nicht, die hier insgeheim lenkte.
    Der nächste Buchstabe war wieder ein E , das alle Optionen offenließ. Der dritte lautete U .
    »Neu«, sagte Krautter.
    Der Tisch nahm seine Sprünge wieder auf. Ich hörte kaum hin.
    » S !«, rief die Runde.
    Dann kam ein C , schließlich das H .
    Ein kalter Windstoß riss an Roswitas langem schwarzem Haar, die junge Staatsanwältin fröstelte plötzlich in ihrem roten Busenwunder, und ich hörte jemanden – und es war keiner von uns – wispern: Neuschwanstein.
    Der Tisch schien nun außer Rand und Band. Er hüpfte uns fast unter den Händen fort. Meisner lachte. Aber das beeindruckte ihn nicht. Er war in Fahrt und nicht zu bremsen, und bis zum W war es weit. Warum wunderte es mich nicht? Und die andern kamen immer noch nicht drauf.
    »Neuschwwwww…«
    Ein Kippler.
    » A !«
    Da geschah es. Im Augenwinkel sah ich einen Lichtblitz. Es knallte. Enten flatterten auf und schnatterten. Ich spürte, wie Richard neben mir zusammenzuckte. Ein Glas auf der Brüstung zerplatzte, Krautter, der der Brüstung am nächsten stand, sprang beiseite, Scherben klirrten.
    Ich hörte uns atmen. Es war da, das Grauen. Wie das Kind fühlte ich mich, das mit einer Freundin einst in Todesangst im Gebüsch bei der alten Fabrik gehockt hatte, von der es hieß, dort lebe ein Landstreicher, der Kinder stehle und ermorde.
    »Habt ihr das auch gesehen?«, fragte Roswita leise.
    »Puh! Was war das?«, sagte Meisner mit zittriger Stimme.
    Ich sprang ans Geländer. Dort ging es einige Meter hinunter. Der See plätscherte an der Treppe mit den Booten. Ich lauschte. Irgendwo beschleunigte ein Auto.
    »Der See war plötzlich ganz hell«, flüsterte die junge Staatsanwältin hinter mir. »Und auf der Insel zwischen den Bäumen, da war was, eine Gestalt, riesenhaft. Ich habe es ganz deutlich gesehen.«
    Krautter hatte nur den Knall gehört, den er als Fehlzündung vom Parkplatz her zu interpretieren suchte, was allerdings nicht überzeugt klang, weil seine Stimme wackelte. Meisner behauptete, es hätte ausgesehen wie ein Kugelblitz. »Er stand rechts neben der Insel.«
    Roswita widersprach mit gellender Stimme: »Nein, es war da drüben, wo die Boote liegen. Es ist senkrecht in den Himmel gestiegen. Rosenfelds Geist.«
    »Hast du auch was gesehen, Richard?«, fragte Meisner.
    Und zu meinem Erstaunen zitterte sogar Richards Stimme. »Es hat geknallt, dann war irgendwo ein Licht. Vielleicht ein Scheinwerfer auf der anderen Seeseite.«
    Aber wieso war auf der Brüstung ein Glas zersprungen? Es war Richards Glas, das mit der Apfelsaftschorle.
    »Jetzt brauch ich einen Schnaps!«, rief Meisner.

9
    Sie nahm dem Catering-Buben mit den glasigen Augen eine Runde Schnäpse, Bier und Wein ab und schickte ihn heim. Dann saßen wir im toten Partysaal an einem Tisch und versuchten, auf einen Nenner zu bringen, was wir eben gesehen hatten. Ein Lehrstück für die junge Staatsanwältin. Es war nicht möglich, auch nur zwei in der Runde auf ein und dieselbe Wahrnehmung festzulegen. Was war zuerst gewesen? Der Knall oder das Licht? War Richards Apfelschorleglas auf der Brüstung zersprungen oder heruntergefallen? Am Schluss zerbröselte uns alles, und dankbar vertrauten wir uns Richards Plausibilitätssinn an. Vermutlich hatte ein Auto auf dem Spazierweg um den See zu wenden versucht, dabei war sein Scheinwerfer zwischen den Bäumen hindurch über den See geblitzt. Womöglich war er rückwärts gegen

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