Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
einen Stein oder eine Sitzbank gekracht. Was nachts knallt, klingt wie ein Kanonenschlag, wenn man sich im Halbschlaf oder in einer spiritistischen Sitzung befindet. Als es knallte, hatte Krautter sich umgedreht und dabei eines der Gläser gestreift, das auf der Brüstung stand.
Ich erzählte schließlich von Nina Kulagina, der Meisterin der Salzstreuer, von der Rache des Schachcomputers, dem träumenden PC und dem italienischen Dorf, in dem die elektrischen Geräte in Flammen aufgingen, obgleich sie keinen Strom hatten, und vom Rosenheim-Spuk.
Als wir endlich das Schloss über die Freitreppe verließen, fragte sich Meisner laut, wie man so einen nannte, der Salzstreuer bewegte. »Medium?« Dann wäre er Mittler zwischen Geisterwelt und gegenständlicher Welt. »Ein Übersinniger«, schlug Roswita Kallweit vor. »Psi-Agent«, meinte Richard, der seine auf Pumps taumelnde Kollegin fürsorglich am Ellbogen hielt. »Parapsychopath«, schlug ich vor. »Nein, ich hab’s, man nennt ihn Channeler«, trötete Meisner in die schwäbisch stille Nacht zwischen Schloss und Schlosshotel. Sie habe da mal was gelesen – ob zu privaten Zwecken eigener Bewusstseinserweiterung oder nicht, ließ sie offen. Channeln sei das Empfangen oder Senden von Nachrichten über einen geistigen Kanal, den es zu finden gelte, um der dichten, materiellen, niedrig schwingenden Erde in die feinstoffliche Sphäre geistiger Wahrheiten zu entkommen. »Da gibt es Ratgeber dafür! Huch!«
Richards Hand sicherte sie. »Ich fahre dich am besten nach Hause.«
Der Leitende Oberstaatsanwalt Krautter war noch nüchtern und vernünftig genug, sich daran zu erinnern, dass Meisners Heim eher an seinem als an Richards Weg lag, nämlich ganz andere Richtung aus Ludwigsburg hinaus, gen Markgröningen.
Erst in Richards Limousine fühlte ich mich wieder sicher in der Welt. Sie wird zuverlässig geordnet von Ampeln, Pfeilen auf Fahrbahnen, Schildermasten und Halte- und Parkverboten. Mehr braucht kein Mensch, um zu wissen, wo er verweilen darf und wo nicht, wohin seine Reise geht und dass ein U -Turn an dieser Stelle verboten, weiter vorn aber erlaubt ist.
Auf meinem Handy war, wie ich feststellte, ein Anruf eingegangen, und zwar schon gegen 21 Uhr. Es war eine Nummer mit einer Vorwahl, die ich nicht zuordnen konnte.
Wir passierten auf breiter Stadtschneise das Blühende Barock, das hinter feudalistischen Mauern und Pforten mit seiner riesigen Schlossanlage und dem Küfer Paul schlummerte, der die kleine Ecke zwischen Kirche, Fasskeller und Glockenstuhl bespukte.
»Die Vorwahl 07571 , wo gehört die hin?«, fragte ich Richard.
»Sigmaringen.«
»Ich kenne niemanden in Sigmaringen!«, behauptete ich. »Nein, ich kenne da doch wen: Kitty zu Salm-Kyrburg.«
»Die Retterin Hohenzollerns.« Richard sprangen die Hirnschubladen wieder von alleine auf. »Amalie Zephyrine von Salm-Kyrburg, geboren 1790 in Paris, verstorben 1841 in Sigmaringen. Sie hat die Souveränität des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen gegenüber Baden und Württemberg behauptet, übrigens auch die von Hohenzollern-Hechingen.« Richard war in Balingen im Schatten der Burg Hohenzollern aufgewachsen.
»Meine Geister-Kitty betreibt einen Schönheitssalon in Sigmaringen. Und sie kennt Juri Katzenjacob.«
»Hm.«
Es war zu spät für einen Rückruf, oder vielmehr zu früh.
»Aber erschrocken warst du schon auch?«, erkundigte ich mich, als die Häuser links und rechts der fürstlichen Stadtautobahn, die Ludwigsburg zweiteilte, zurückblieben und wir ins Dunkel der Schnellstraße rollten.
»Ja!«, antwortete Richard freimütig. »Das war ganz großes Kino. Und weißt du, was mich am meisten erschreckt hat? Dass es irgendwie passte. Ich dachte nämlich gerade: Jetzt läuft alles auf Neuschwanstein raus. Auf König Ludwig und seinen mysteriösen Tod im Starnberger See. Und wenn jetzt Neuschwanstein rauskommt, dachte ich, dann ist das der Beweis, dass es nicht Rosenfelds Geist sein kann. Und bums, kam der Abbruch!«
»Ein arg verrückter Zufall!«
»Glaubst du, dass uns wirklich Rosenfelds Geist erschienen ist?«, erkundigte er sich.
»Nee! Quatsch! Das waren wir selber mit dem, was uns so im Kopf herumspukt. Was hätte Rosenfelds Geist im Seeschloss Monrepos verloren?«
»Eben. Und zufällig weiß ich, dass unser Vizegeneral Krautter Ende vergangenen Jahres Neuschwanstein besucht hat.«
Ah ja! Und genau das zu sagen, wenn unsere Séance vorbei war, hatte er sich vorgenommen, als es knallte
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