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Totenstimmung

Totenstimmung

Titel: Totenstimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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aufstehen und das Präsidium verlassen.
    »Sie haben gesagt, dass Sie Ihrem Hendrik ein glückliches Leben wünschen. Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe den Eindruck, dass es bisher nicht unbedingt glücklich war.« Frank hielt die Luft an.
    Johanna Eßers zögerte einen Augenblick, nahm dann ihre Hände vom Knauf und lehnte den Gehstock an Franks Schreibtisch. »Wissen Sie, Herr Borsch, Hendrik hat es im Leben nicht leicht gehabt. Mein Bruder hat ein hartes Regiment geführt.« Johanna Eßers sah mit einem Mal müde aus.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun ja, er war ein Strenger. Er hat nichts durchgehen lassen bei dem Jungen. Aber er hat es selbst nicht anders gekannt, mein Bruder. Wir sind alle streng erzogen worden.«
    »Gegen klare Regeln ist ja nichts einzuwenden.«
    »Sie wissen nicht, wovon Sie reden.« Ihre Stimme war noch leiser geworden.
    »Hat Ihr Bruder seinen Sohn geschlagen?«
    »Er hatte eine harte Hand.« Johanna Eßers ließ die eigentliche Antwort offen.
    »Wie meinen Sie das?« Frank ahnte die Antwort.
    »Wissen Sie, Herr Kommissar, wir sind in einer Zeit groß geworden, in der Schwäche wie ein schwerer körperlicher Makel behandelt wurde. Schwäche war etwas, das ein Deutscher niemals zeigen sollte. Und nur durch eine ›gesunde Härte kann sich die erzieherische Kraft der Eltern zu ihrer wahren Größe entwickeln‹. So ähnlich hieß es damals. Alle haben danach gelebt, und nur den wenigsten hat es wirklich geschadet.«
    Frank kannte den Spruch nur zu gut: Ein paar kräftige Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen. Wie hatte er den Satz gehasst! »Das klingt wie eine Entschuldigung für etwas sehr Schwerwiegendes.«
    »Mein Bruder hat in den späten Fünfzigerjahren nur das weitergegeben, was er selbst als normal erlebt hat. Ihn trifft keine Schuld.«
    »Könnten Sie etwas genauer werden?«
    Johanna Eßers schlug die Augen nieder. Ihr Blick hatte viel von ihrem kämpferischen Glanz verloren. »Hans ist manchmal etwas weit gegangen.« Sie stockte.
    »Er hat Ihren Neffen also geschlagen.«
    »Er hat ihn nur hart machen wollen. Es waren schwere Zeiten damals. So kurz nach dem Krieg war es schwer, wieder auf die Beine zu kommen. Die Kinder sollten eine gesicherte Zukunft haben und sich durchsetzen können. Nur die Starken überleben. Das hat uns der Krieg gelehrt.«
    »Erzählen Sie mir mehr über Ihren Bruder.«
    »Hans hat Hendrik oft in den Keller gesperrt.«
    Frank nickte. »Das war damals noch eine beliebte Strafe.«
    »Hendrik hat mir leidgetan. Er hat Stunden, manchmal eine ganze Nacht in dem kalten Keller verbringen müssen.«
    »Schlimm.«
    »Er hat seinen Vater dafür gehasst. Und seine Mutter auch, weil sie ihm nicht geholfen hat.«
    »Menschen können grausam sein.«
    »Hendrik hat im Keller auf einen Stuhl gefesselt gesessen. Seine nackten Füße standen im Wasser.«
    Frank musste schlucken. Jennes musste als Kind durch die Hölle gegangen sein.
    »Ich bin müde, Herr Kommissar. Ich möchte jetzt gehen. Finden Sie Hendrik.« Johanna Eßers’ Schultern waren noch schmaler geworden, ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren, ihre Falten schienen schärfer geworden zu sein. »Können Sie mich vielleicht zum Ausgang begleiten, Herr Borsch?«
    »Möchten Sie mir nicht mehr über Hendrik erzählen?«
    Die Seniorin schüttelte den Kopf. »Hendrik ist trotzdem ein guter Junge geworden. Er hat die Gründe verstanden und die Schmerzen überwunden. Die Musik hat ihm dabei geholfen. Musik hat etwas zutiefst Reinigendes, sagt er immer. Stundenlang hat er in seinem Zimmer gehockt, wenn er zu Besuch war, und hat Musik gehört, ununterbrochen. Alles Mögliche, auch Volksmusik. Hendrik hat ein gutes Gespür für Musik.« Johanna Eßers sah Frank müde an. »Das hat er von seinem Vater. Wir haben früher oft im Garten gesessen, zusammen musiziert und gesungen. Die ganze Nachbarschaft war dabei und hat mitgemacht. Wir waren glücklich damals. Auch Hendrik.«
    »Welches Instrument hat Ihr Bruder gespielt?«
    »Mundharmonika, Herr Kommissar. Können wir jetzt bitte gehen? Ich muss mich wirklich ein wenig ausruhen.«
    »Carolina hat was?« Frank traute seinen Ohren nicht.
    »Ihr blieb keine andere Wahl. Sie musste Jennes laufen lassen. Wir haben nicht wirklich viel gegen ihn in der Hand. Wir haben keine verwertbaren Spuren gefunden, weder im Lieferwagen noch in der Werkstatt noch in Jennes’ Wohnung. Wir müssen die Ermittlungsergebnisse des LKA abwarten. Was wir für Semtex

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