Totenstimmung
nur Stress. Er würde sie sich noch vorknöpfen. Wer wusste denn, ob es überhaupt eine Verbindung zwischen Schrievers’ Verschwinden und diesem Walkingpartner gab? Sie hatten zwar den Namen, aber sonst schien Gilleßen nicht zu existieren. Ein Kellner des Schlossrestaurants hatte sich bei erneuter Nachfrage eines Kollegen aus dem Bezirksdienst doch noch daran erinnert, dass Schrievers sich einmal erkundigt hatte, ob ein ›Herr Gilleßen‹ nach ihm gefragt hätte. Der Name sei ihm im Gedächtnis geblieben, hatte der Zeuge angegeben, weil es auch der Name seiner künftigen Schwiegereltern war.
Schrievers’ Gilleßen: keine Adresse, keine Vorstrafen, nichts. Eine Kunstfigur. Vielleicht aber auch nicht. Solange es keine konkreten Hinweise gab, hätte Gilleßen gegenüber Gertrud nicht mit einem Wort erwähnt werden dürfen.
»Bitte, Gertrud. Wir arbeiten wirklich mit Hochdruck. Es gibt derzeit nicht den kleinsten Hinweis darauf, dass Heini etwas passiert ist oder dass Gilleßen dabei eine Rolle spielt.«
»Erzähl mir doch keinen Scheiß. Ich will endlich wissen, was los ist.«
»Ich rufe jetzt Lisa an.«
»Ich will nicht mit Lisa sprechen. Ich will meinen Mann zurück. Frank, Heini ist euer Freund. Verdammt noch mal, tut endlich was!«
»Willst du etwas trinken? Wein? Bier?«
Frank zögerte. Er fühlte sich unsicher, wie bei einer ersten Verabredung. Dabei kannte er Viola schon so lange. Vielleicht war genau das das Problem. »Ein Wasser, wenn du hast.« Seine Stimme klang alles andere als fest.
Viola Kaumanns schmunzelte. »Kein Bierchen?« Sie hatte den Kühlschrank geöffnet und schwenkte eine Bügelflasche Altbier vor seiner Nase.
»Ich bin mit dem Auto da.«
»Keine Angst, ich werde die Kollegen schon nicht anrufen. Oder hast du Angst, die Kontrolle zu verlieren?«
Viola hatte den Kern getroffen. Frank spürte, dass er rot wurde. »Ach, gib schon her.« Er streckte seine Hand aus.
Frank war gekommen, um mit Viola über Jennes zu sprechen. Er wollte von ihr wissen, was sie, Frank und Ecki sowie die komplette MK möglicherweise falsch machten. Und welche Tipps Viola für sie hatte. Aber vielleicht hatte er sich das auch nur eingeredet. Vielleicht war er nur gekommen, um Viola wiederzusehen.
Frank öffnete seine Flasche im Wohnzimmer. In Wahrheit wusste er, dass er sich den Grund für diesen Besuch nur zurechtgelegt hatte. Der wahre Grund war ein anderer.
»Ihr müsst Jennes jeden Tag und jede Stunde auf den Füßen stehen, ihr dürft ihn nicht aus den Augen lassen. Haltet Abstand, aber so, dass er weiß, dass ihr ihn beobachtet. Er wird einen Fehler machen, falls er der ist, für den ihr ihn haltet.« Viola nickte, nachdem Frank sie ausführlich über die neuen Entwicklungen informiert hatte.
»Kannst du nicht doch ein Profil erstellen?« Frank war versucht, nach ihrer Hand zu greifen.
Viola Kaumanns ließ sich noch einmal den bisherigen Verlauf der Ermittlungen schildern und hatte besonders zu Jennes’ Tante eine Reihe Detailfragen. Außerdem hatte sie aufgehorcht, als Frank davon erzählte, dass Jennes ihn für unfähig hielt, ihn mehrfach aufgefordert hatte, endlich seine Arbeit zu tun.
Es dauerte lange, bis sie keine Fragen mehr hatte. Frank hatte in der Zwischenzeit drei Flaschen Bier getrunken. Eine vierte stand offen auf dem niedrigen Wohnzimmertisch. Er hatte versucht, seinen Bericht so klar wie möglich zu strukturieren. Er wollte unter allen Umständen die Kontrolle über seine Gedanken behalten. Er hatte immer wieder seine Schilderungen unterbrochen und auf Ungereimtheiten kontrolliert.
Nun saßen sich beide in dem winzigen Wohnzimmer gegenüber. Der CD -Player spielte das gemeinsame Konzert von Eric Clapton und Steve Winwood.
Beide hatten die Augen geschlossen und ließen die Gitarren der Ausnahmemusiker auf sich wirken.
Frank musste an eine seiner ersten Begegnungen mit Viola denken. Damals hatte sie ihn damit verblüfft, dass sie die niederländische Bluesband Livin’ Blues kannte. Das hatte er am allerwenigstens erwartet, dass eine junge Frau wie Viola Kaumanns etwas mit dieser nur eingefleischten Bluesfans bekannten Band anfangen konnte. Damals hatte er gedacht, es passt alles zusammen: ihre unkonventionelle Art, unkonventionelle T - S hirts mit unkonventionellem Aufdruck zu tragen, dazu das kurz geschnittene, mal rote, mal auberginenfarbene Haar, ihr Ehrgeiz und die Art, wie sie mit ihm flirtete. Ganz schön frech, hatte er damals gedacht.
Das war lange her, und er hatte
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