Totenstimmung
unweigerlich der eigene Tod stehen muss. Erfurt, Winnenden, Blacksburg.
Er schloss die Augen und hob den Kopf. Er ließ die atemberaubenden Koloraturen »seiner« Maria auf sich niederstürzen wie den harten Strahl seiner Dusche.
—
Heinz-Jürgen Schrievers schlug die beiden Walkingstöcke leicht gegeneinander und trabte locker auf der Stelle. »Von mir aus könnten wir noch eine Stunde walken.«
»Lass gut sein, Heinz-Jürgen, zu viel Ehrgeiz schadet nur. Wir stehen erst am Anfang. Die längeren Distanzen kommen noch, keine Sorge. Du musst auf deine Gelenke achten. Diese ungewohnte Belastung ist einfach noch zu groß für sie.«
Der Archivar der Mönchengladbacher Polizei sah seinen Kollegen Sven Eichenlaub vorwurfsvoll an. Seine freiwillige Teilnahme am Walkingprogramm gab Eichenlaub nicht das Recht, auf sein Gewicht anzuspielen. Und schon gar nicht vor versammelter Mannschaft.
»Wir sind doch alle hier, weil uns unsere Gesundheit wichtig ist. Niemand von uns hat sein Idealgewicht.« Sven Eichenlaub sah auf seine Armbanduhr. »Der Bus müsste gleich hier sein. Am besten bewegt ihr euch noch ein wenig, damit ihr nicht auskühlt Auf geht’s, Männer.«
»Ich dreh noch eine Runde.« Heinz-Jürgen Schrievers straffte seine Schultern.
»Das lohnt nicht, bis der Bus kommt.«
»Gertrud ist in der Stadt. Ich ruf sie an und lass mich von ihr zum Präsidium bringen.«
»Heinz-Jürgen …«
Aber Schrievers war schon Richtung Rundweg um Schloss Rheydt unterwegs. Forschen Schrittes entschwand der gewichtige Archivar aus dem Blickfeld der verblüfft zurückbleibenden Sportgruppe der Mönchengladbacher Polizei.
»Radermacher ist weg.« Ecki ließ den Hörer sinken.
»Was heißt das?« Frank sah von seinem PC auf.
»Er ist nicht zum Dienst erschienen. Seine Kollegen haben sich gewundert und versucht, ihn auf dem Handy anzurufen. Nichts. Es war ausgeschaltet. Dann sind sie zu ihm nach Hause, aber dort hat niemand die Tür geöffnet. Er hat noch eine Mutter, aber die weiß auch nicht, wo ihr Sohn sein könnte.«
Frank sprang auf und griff nach seiner Lederjacke. »Wir müssen zur Wohngruppe. Vielleicht wissen die ja, wo er ist.«
»Lass gut sein, brauchst dich nicht so zu beeilen.« Ecki legte den Telefonhörer auf.
»Er ist schon seit drei Tagen verschwunden.«
»Und warum erfahren wir das erst jetzt?«
»He, nun komm mal wieder runter. Seine Mutter hat erst vorhin die Leitstelle angerufen.«
Frank kehrte an seinen Schreibtisch zurück und setzte sich wieder. »Und niemand weiß, wo er sein könnte?«
»Niemand. Selbst seine Frau hat keinen blassen Schimmer. Sagt sie.«
»Wir müssen die Wohnung durchsuchen. Vielleicht finden wir dort einen Hinweis: Reiseprospekte oder so.«
»Wenn er sich abgesetzt hat, werden wir nichts finden.«
»Du hast recht.« Frank sog die Luft hörbar ein. »Das Arschloch hat uns reingelegt. Scheiße.« Er schlug mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte.
»Wir werden ihn trotzdem schnappen. Er wird Spuren hinterlassen. Irgendwann wird er Geld abheben müssen. Ich gebe die Fahndung raus.«
»Und ich fahre zu seinem Arbeitgeber. Möglich, dass sie dort wissen, wo wir suchen müssen. Vielleicht hat Radermacher irgendwo in Deutschland Freunde oder eine besondere Vorliebe für Städtetouren. Vielleicht steckt er auch nur in einem Bungalowpark in Limburg oder in einer Ferienwohnung in den Ardennen.«
Franks Telefon klingelte. »Borsch?«
Ecki sah Frank fragend an, weil der das Gesicht verzog.
Frank legte die Hand über den Hörer. » City-Vision . Die wollen wissen, ob wir was Neues in Sachen Elvira haben.«
Woher hatte das Lokalfernsehen seine Durchwahl, und wofür hatten sie eigentlich eine Pressestelle?
»Nein, bitte wenden Sie sich an den Kollegen Lützen. Bitte? Die Staatsanwältin ist der Meinung, dass wir Ihnen Auskunft geben können? Das kann nicht sein, da müssen Sie sich verhört haben. Außerdem gibt es nichts Neues. Nein, wirklich nicht.« Frank verdrehte die Augen.
Ecki tippte sich an die Stirn.
»Wie? Sie wollen eine Story drehen? Ein Tag im Leben eines Mordermittlers? Ich glaube, da sind Sie bei uns an der falschen Adresse.«
Ecki tippte sich erneut an die Stirn und öffnete die Schreibtischschublade. Während Frank telefonierte, konnte er nach der Tüte Gummibärchen suchen, die er als Notration in seinem Schreibtisch vermutete.
»Vielen Dank für Ihr Interesse.« Frank legte auf. »Die ticken wohl nicht ganz sauber.«
»Lützen wird das
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