Totenstimmung
Fahndungsfoto in einem Beitrag von City-Vision erkannt.«
»Und die kennt Radermacher?«
»Sie lebt in der Nachbarschaft des Anwesens.«
»Was macht Radermacher denn in Kaldenkirchen?«
»Ecki, woher soll ich das wissen?« Frank nahm erneut den Hörer in die Hand.
»Was hast du vor?«
»Ich will nicht, dass wir ihn verlieren. Ich will wissen, was er macht, und wenn wir wissen, wem das Anwesen gehört, werden wir ihn überwachen lassen.«
»Ist das nicht ein klein wenig übertrieben? So gefährlich ist Radermacher nun auch wieder nicht.«
»Wir werden es genau so machen.«
Im Verlauf des späten Abends war endlich die erlösende Nachricht gekommen. Die Kollegen hatten um die umgebaute Scheune herum Position beziehen können.
Das Anwesen gehörte einer Großtante Radermachers, die längst von Kaldenkirchen nach Düsseldorf gezogen und völlig erschrocken gewesen war, als plötzlich die Polizei vor ihrer Tür in Kaiserswerth gestanden hatte.
Sie hatte ihren Besitz vor gut einem Jahr an eine kleine Speditions- und Kurierfirma vermietet, die von Kaldenkirchen aus den Niederrhein und die benachbarte Provinz Limburg mit Stückgut verschiedenster Art belieferte. Ein kleineres Apartment hatte sie Radermacher überlassen, damit »der Junge auch mal ungestört arbeiten kann«, wie sie den Beamten gesagt hatte. Anlass zur Klage hatte sie nicht gehabt. Die zugegebenermaßen geringe Miete sei jeden Monat pünktlich überwiesen worden.
Frank und Lisa waren gerade vom Essen zurückgekommen, als die Leitstelle anrief.
Lisa hatte nur wenig gesagt, als er sich im Flur fertiggemacht hatte. Lediglich an ihrer Umarmung zum Abschied hatte er gemerkt, dass Lisa sich Sorgen machte.
»Sind alle Kollegen auf ihren Positionen?« Frank sah Ecki an, der früher eingetroffen war und neben ihm im engen Laderaum des Kleintransporters saß, der vor der grün und gelb gestrichenen Fassade des Tach! geparkt war, in der sie vor nicht allzu langer Zeit noch beim Bier gesessen hatten.
Ecki gähnte. Er hatte schon geschlafen, als ihn der Anruf erreicht hatte. »Klar.«
»Wo ist Schrievers? Ist er auch hier?«
»Keine Ahnung. Ich habe ihn noch nicht gesehen.«
»Wo ist das SEK ?«
»Sie sind in Alarmbereitschaft.«
Frank schniefte. »Mir ist kalt.« Vor Aufregung, fügte er in Gedanken hinzu.
»Mehr gibt die Heizung nicht her.« Ecki blickte mit stoischer Gelassenheit auf die Monitore, die in den Transporter eingebaut waren.
»Was ist bisher passiert?«
»Wenig. Im Haus und in der Halle ist alles ruhig.«
»Kein Licht?«
»Kein Licht.«
»Und die Richtmikrofone?«
»Nichts. Außer ein paar undefinierbaren Geräuschen.«
»Was meinst du, Ecki?«
»Na ja, die Gebäude liegen geradezu ideal. Etwas verdeckt in zweiter Reihe, das Apartment liegt absolut verkehrsgünstig. Von hier aus bist du ruck, zuck auf der Autobahn; ob du nun in den Süden willst oder in die Niederlande beziehungsweise nach Belgien oder Frankreich.«
»Du meinst also, ideal für Radermachers Zwecke?«
»Ideal für jemanden, der ungestört sein will.« Ecki nickte. »Nettes Anwesen und außerdem völlig unauffällig.«
»Mich wundert nur diese Stille.«
»Vielleicht ist der Vogel ausgeflogen.«
—
Ich weiß ganz genau, was ich ihm sagen werde. Nämlich: Mich hat Politik bisher nur mittelbar interessiert, nur wenn sie im direkten Zusammenhang mit meiner Leidenschaft stand. Etwa beim Thema Hinrichtungen. Sie können sicher sein, dass ich sorgfältig jeden Bericht dazu aus den Zeitungen ausschneide, mit Anmerkungen versehe, die zu meinem umfassenden Werk passen, um sie dann fein säuberlich, nach Schlagworten katalogisiert, auf säurefreies Papier zu kleben und anschließend, in dokumentenechte Kunststoffhüllen gesteckt, abhefte. So ist im Laufe der Jahre eine immer feinere und tiefgreifendere Ästhetik der Gewalt und des Todes gewachsen. Sie können kaum ermessen, welches Glück es mir bereitet, stundenlang die Berichte anzusehen, die Bilder zu betrachten und sich in die Opfer und die Täter zum Zeitpunkt des abgebildeten Geschehens hineinzuversetzen. Diese Art Empathie ist es, für die es sich zu leben lohnt. Diese Schönheit der elementaren Handlungen, präzise und mit Bedacht ausgeführt.
In diesem Sinne bin ich ein Bewahrer der echten und einzigen Kunst, die zu betrachten es sich lohnt. Es gibt Glücksmomente in meinem Archivarleben, in denen ich tanzen könnte vor Freude, allein angesichts der unendlich scheinenden Reihen sorgsam beschrifteter
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