Totenstimmung
und in ihrem ewig gleichförmigen Aussehen den mannigfaltigen Schrecken der Menschheit bewahrender Aktenordner. In ihnen steckt die wahre Menschheitsgeschichte. Es ist nicht nur die vollendete Ästhetik dieser Welt, sondern auch das allein gültige Gedächtnis der Menschheit. Und ich bin Motor und Bewahrer dieses heiligen Universums, das das Attribut »schön« nur mit »rein« in Verbindung bringen kann. Und einzig allein die Callas ist in der Lage, mit ihrer Musik dieser Reinheit nahezukommen.
Er wird mich verstehen, denn er ist der Einzige, der kraft seines Lebens und seiner Arbeit begreifen kann, welches Vermächtnis ich für diese Erde bereithalte.
—
»Frank?«
Ecki hatte sich über sein Sprechfunkgerät gemeldet.
»Wo bist du?«
»Ganz in deiner Nähe, auf dem Turm von St. Clemens. Bisher haben die Kollegen von hier oben keine Bewegungen im Haus festgestellt. Das heißt, es scheint niemand dort zu sein. Soweit die Nachbarn befragt werden konnten, kann sich niemand an Auffälligkeiten erinnern. Sie meinen nur, dass seit Tagen kein Wagen gekommen ist oder das Gelände verlassen hat.«
»Also, worauf warten wir dann noch?«
»Das SEK ist auf dem Weg. Die Kollegen müssten gleich hier sein. Bereitstellungsraum ist das Tach! . Ich komm jetzt von dem verdammten Turm herunter. Ich habe mit dem Wirt schon gesprochen. Er müsste auch gleich hier sein.«
Dort, wo sonst die Musiker der überregionalen Blues- und Rockszene ihre Gitarrenkoffer abstellten und ihre Fender oder Marshall - Verstärker aufbauten, lehnten unförmige Taschen, in denen sich Präzisionswaffen verbargen. Dunkel gekleidete Männer, zum Teil mit Gesichtsmasken, saßen oder standen an den Kneipentischen.
Es roch nach verschüttetem Bier und dem Zigarettenrauch der letzten Besucher. Statt Bier wurde jetzt Kaffee ausgeschenkt. Und statt der Musik aus der umfangreichen Bluessammlung des Tach! zu lauschen, folgten die Männer des SEK den Ausführungen von Frank und Ecki.
»Dass wir nicht das ganze Anwesen einsehen können, ist ein Problem.« Hendrik Faust sah die beiden Ermittler an.
»Wir können nicht länger warten.« Franks Stimme klang bestimmt.
»Wenn ich mir den Bauplan ansehe, kann ich nur warnen. Was sagen die Richtmikrofone?«
»Undefinierbare Geräusche. Das könnte Radermacher sein, das können aber auch Ratten sein.«
»Mit wie vielen Personen müssen wir rechnen?« Faust runzelte die Stirn.
»Vermutlich nur mit einer.«
»Was heißt das?«
»Dass Radermacher unter Umständen jemanden oder mehrere Personen bei sich hat. Behindert, möglicherweise.«
»Ihr Kollege meint, dass er unberechenbar und gefährlich ist. Diese Einschätzung gefällt mir gar nicht. Ich muss an meine Männer denken. Ich will nichts riskieren.«
»Hören Sie, wir können nicht länger warten und zusehen, wie Radermacher womöglich einen weiteren Mord begeht.«
»Ich muss mich erst mit meinem Vorgesetzten besprechen.«
Hendrik Faust verließ den Schankraum Richtung Küche.
Carolina Guttat hatte die ganze Zeit über schweigend zugehört. Sie sah übernächtigt aus und hatte dunkle Schatten unter den Augen. »Faust hat recht. Die Situation ist vertrackt. Wir können nicht einfach da reinmarschieren, Radermacher festnehmen und wieder rausmarschieren.«
»Wenn nicht bald eine Entscheidung fällt, gehe ich auf eigene Faust rein.«
Die Staatsanwältin sah Frank verblüfft an. »Hör zu, Frank, solange ich hier die zuständige Staatsanwältin bin, wirst du, zum Teufel noch mal, nichts tun. Wir werden zusammen eine Lösung finden. Ich halte es ohnehin, gelinde gesagt, für eine Schnapsidee, das SEK auf den Weg zu schicken. Das Ganze muss auch anders zu handhaben sein.«
»Wir sind so nah dran. Denk dran, was Radermacher getan haben könnte.« Franks Stimme war nur noch ein Flüstern.
Faust kam mit ernstem Gesicht aus dem Nebenraum zurück.
»Ich habe mit meinem Vorgesetzten gesprochen.« Faust sah Carolina Guttat an. »Er hat mir grünes Licht gegeben.«
»Gott sei Dank.« Frank war erleichtert.
»Dann los.« Ecki ging zu den beiden zusammengeschobenen Tischen, auf denen die Pläne des Anwesens lagen.
»Ich werde meine Männer zunächst auf die Gebäude rund um das Objekt verteilen. Außerdem werden wir über das Dach Zugang bekommen. Wenn wir die Ziegel anheben, müssten wir Glück haben.« Faust deutete auf mehrere Punkte.
Ecki und Frank nickten.
»Unsere Überwachungssysteme sind negativ geblieben. Ich gehe davon aus, dass wir nicht auf
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