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Totenstimmung

Totenstimmung

Titel: Totenstimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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habe auch schon mal gebrochen. Da war mir schlecht. Meine Mama hat keinen Grips genommen.«
    Jasmin Köllges musste erneut lachen. Die kurz geschnittenen blonden Haare standen nach allen Seiten vom Kopf und gaben dem Jungen ein pfiffiges Aussehen.
    »›Gebrochen‹ sagt man auch, wenn der Knochen kaputt ist.«
    »Auch kaputt, da.« Der Junge streckte Jasmin Köllges eine Faust entgegen, die er langsam öffnete. In seiner Hand lag ein kleines Lego-Männchen, dem der Kopf fehlte.
    »Oh, wie schade. Jetzt bist du sicher traurig?« Jasmin beugte sich zu dem Jungen.
    »Kevin, komm her.«
    Der Junge schloss die Faust wieder, bevor er an seinen Platz trottete.
    »Sie müssen schon entschuldigen, aber Kevin ist manchmal nicht ganz richtig im Kopf. Er spricht immer fremde Leute an. Egal, wo wir sind.« Die Mutter verzog ihr Gesicht, als wolle sie damit deutlich machen, wie unangenehm ihr das Verhalten ihres Sohnes war.
    Jasmin schüttelte den Kopf. »Oh, das macht mir nichts. Kinder sind eben so.«
    »Ich wollte Sie nur gewarnt haben. Sie werden Kevin nicht mehr los, wenn er einmal anfängt.« Die junge Frau biss ungerührt in ihren Hamburger und sortierte dabei mit der anderen Hand Kevins Pommes frites. Ihr anderer Sohn kaute derweil selbstvergessen und beobachtete dabei die Umgebung.
    Jasmin Köllges wollte sich schon umdrehen, um sich wieder ihrer Observation des Busbahnhofs zu widmen, als sie registrierte, was sie die ganze Zeit in ihrem Unterbewusstsein beschäftigt hatte: Kevin war offenbar geistig behindert, ein »Mongo«, wie ihr erster Freund gesagt hätte.
    Sie sah ihm beim Essen zu und musste lächeln, als er sie anstrahlte, während er sich eine Pommes nach der anderen in den Mund schob und ihr dann mit vollem Mund zurief: »Bein ist gebrochen. Ich bin auch gebrochen.«
    Als die Mutter Kevin am Arm zog, wandte sich Jasmin ab. Sie war schließlich wegen des Busbahnhofs gekommen, was ging sie die Erziehung fremder Kinder an? Sie konzentrierte sich wieder auf die asphaltierte Fläche, die unmittelbar neben der Unterführung lag, die zum Berufskolleg führte. Aber das Gelände blieb verwaist.
    Jasmin Köllges ließ ihren Blick schweifen und trank von ihrer Cola. Gegenüber reihte sich Dönerbude an Sexladen, Internetcafé an Kneipe, Reisebüro an Kiosk.
    Reisende mit schmalen Trolleys stiegen in Taxis, Schüler eilten zu den Haltestellen, eine Frau schob ein Fahrrad vorbei, an dem ihre Habseligkeiten in Plastiktüten verpackt hingen. Im Eingang eines Kebabladens wartete der Betreiber im Kittel auf Kundschaft und sah dabei den vorbeieilenden Frauen hinterher. Der Polizeioberkommissarin fielen zwei leger gekleidete Afrikaner auf, die auf dem Bürgersteig miteinander sprachen und dabei heftig gestikulierten. Dann blieb ihr Blick an einem Mann hängen, den sie schon beim Betreten des Hamburgerladens gesehen hatte. Er war ihr aus Richtung Toilette entgegengekommen. Sie schätzte ihn auf Ende zwanzig, Anfang dreißig. Er konnte aber auch deutlich jünger sein. Der Mann sah ungepflegt aus. Er trug eine ausgeblichene Hose in Tarnfarben und dazu ein dunkles T - S hirt. Er ging mit krummem Rücken die Straße auf und ab, ohne auf die Passanten zu achten. Ein Junkie, dachte Jasmin, der auf seine Ration oder auf Kunden wartet.
    Die vorbeifahrenden Autos waren unauffällig, Lieferwagen ortsansässiger Firmen, Paketdienste, keine Limousinen mit fremden Kennzeichen, niemand stand in Hauseingängen oder an Straßenecken und beobachtete wie sie das Treiben im Bahnhofsviertel.
    Jasmin Köllges griff zu ihrem Pappbecher und trank den Rest schaler Cola. Den Cheeseburger hatte sie längst gegessen. Sie sah sich um. Vor der Theke drängten sich immer noch die Hungrigen. Sie überlegte kurz, ob sie sich noch einen Hamburger holen sollte, aber sie würde zu lange anstehen müssen. Ihr Bein schmerzte, außerdem begann die Haut unter dem Gips zu jucken.
    Es war ihre erste größere Verletzung, sah man von gestauchten Knöcheln ab, die sie sich in ihrer Kindheit und während der Ausbildung zugezogen hatte.
    Sie fühlte sich nicht nur körperlich behindert. Es ärgerte sie zunehmend, dass sie andauernd angestarrt wurde, als ob sie eine seltene Krankheit hätte oder einen deformierten Körper.
    Jasmin seufzte. Sie würde am Wochenende wiederkommen, wenn am Busbahnhof Betrieb war. Sie wuchtete sich schwerfällig aus dem Sessel und griff nach ihren Krücken, die sie an den Stuhl neben sich gelehnt hatte. Dabei bekam sie sie nicht richtig zu

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