Totenstimmung
überprüfen.« Ecki nickte.
»Waren Sie alleine dort?«
Radermachers flatternder Blick war Frank Antwort genug.
»Warum haben Sie uns nicht gesagt, dass Sie ein Verhältnis mit Frau Kemmerling haben?«
Volker Radermacher machte eine Faust und führte sie sich räuspernd zum Mund. »Barbara ist verheiratet. Sie verstehen.«
»Wir werden auch mit Frau Kemmerling sprechen. Waren Sie die ganze Zeit mit ihr zusammen?«
»Nein, Sie hat nur einmal bei mir übernachtet.«
»Die Adresse?« Frank blieb skeptisch.
»Mitten im Ort. Dorfstraße. Ich fahre regelmäßig dorthin. Die Wohnung gehört einem ehemaligen Studienkollegen.«
»Und Sie haben an Ihrer Dissertation gearbeitet?«
Volker Radermacher schien erleichtert. »So ist es.« Er zögerte, bevor er weitersprach. »Bitte, ich möchte vermeiden, dass Barbara Schwierigkeiten bekommt. Brauchen Sie mich noch? Ich würde jetzt gerne gehen, Herr Borsch.«
Frank musste fast lachen. »Wir stehen erst am Anfang. Sie verkennen Ihre Situation, Herr Radermacher, Sie sind hier, weil wir Fragen im Zusammenhang mit einem ungeklärten Mordfall haben. Möglicherweise zwei ungeklärten Mordfällen. Sie sind unser wichtigster Zeuge, vielleicht sogar mehr.«
Radermachers Zuversicht wich ebenso schnell, wie seine Gesichtsfarbe ins Graue wechselte. »Ich verstehe Sie nicht.« Der Sozialarbeiter begann seine Hände zu kneten.
»Dann will ich konkreter werden. Vielleicht verstehen Sie dann, worum es geht.« Frank nickte Ecki zu, der sich die aktuelle Laufwerksnummer notierte. »Wir schließen nicht aus, dass Sie für den Mord an Elvira Theissen verantwortlich sind.« Frank warf Ecki erneut einen Blick zu. »Außerdem möchten wir wissen, ob Sie Kontakt zu einer anderen Behinderten hatten, die ebenfalls nicht mehr leben dürfte.«
»Ich?« Radermacher versagte die Stimme.
»Haben Sie Elvira Theissen ermordet, Herr Radermacher?«
Das Gesicht des Sozialarbeiters war mittlerweile weiß wie die Wand. »Was soll das? Ich habe keinen Menschen ermordet, schon gar nicht Elvira. Wie kommen Sie auf eine solch absurde Idee?«
»Sagen Sie uns den Grund, Radermacher.« Frank beugte sich vor. »Sie haben selbst bestätigt, dass Sie einen sehr stressigen Job machen. Da kann es doch sein, dass Ihnen bei Elvira die Sicherung durchgebrannt ist. Das wäre sogar menschlich. Sie haben nur nicht die Notbremse gezogen. Sie haben sich quasi von einer Last befreit.«
Ecki beobachtete Radermachers Mienenspiel: Ungläubiges Staunen war professioneller Sachlichkeit gewichen. Seine Hände verrieten jedoch etwas anderes.
»Ich soll Elvira getötet haben, weil ich mich der Aufgabe nicht mehr gewachsen gefühlt habe? Das ist doch geradezu lächerlich. Fragen Sie doch unseren Supervisor. Er kennt mich in- und auswendig. Er wird Ihnen bestätigen, dass ich genauso viel und genauso wenig gestresst war und bin wie alle anderen auch. Ich morde nicht aus Überlastung.«
»Vielleicht liegt Ihr Motiv auch ganz woanders.« Ecki hatte den Satz nahezu beiläufig klingen lassen.
»Was wollen Sie von mir, Herr Eckers?«
»Vielleicht hatten Sie ein wissenschaftliches Interesse an der Ermordung von Elvira Theissen und einer weiteren Frau, deren Identität wir noch nicht kennen.« Frank wusste, worauf Ecki hinauswollte.
»Wissenschaftliches Interesse?«, echote Radermacher.
»So abwegig, wie Sie uns weismachen wollen, ist unsere Idee auch wieder nicht«, sponn Ecki den Faden weiter.
»Wir haben uns Ihre sogenannte wissenschaftliche Literatur genauer angesehen. Da ist von Gewalt, von einem Zusammenhang zwischen Schmerzen und Ästhetik die Rede. Wenn Sie so wollen, haben Sie sich die Rechtfertigung für Ihre Tat zusammengesucht und ins Regal gestellt. Was haben Sie dabei empfunden, als Sie Elvira Theissen umgebracht haben? Was haben das Überschütten der Frau mit Prozessionsspinnerraupen und die übrigen Quälereien mit Schönheit zu tun? Sie haben das arme Geschöpf gequält und dabei Lust empfunden. Lust, die Sie in Ihrem kranken Kopf mit der Suche nach der einzig wahren Ästhetik entschuldigen und erklären. Ist es nicht so?«
Der Sozialarbeiter war in seiner Bewegung erstarrt. Die Knöchel seiner geballten Hände waren weiß, Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er versuchte zu sprechen, aber seine Stimme versagte ihm den Dienst.
Frank hatte das ungute Gefühl, den Bogen überspannt zu haben. Er versuchte, die Schärfe aus seiner Stimme zu nehmen. »Ich weiß, dass es schlimm für Sie sein muss, mit diesen
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