Totenstimmung
verkauft?«
Anja Mertens hatte keinen Sinn für Dieters Späße.
»Radermacher. Ich habe Volker Radermacher gesehen.«
»Sicher?« Seine Stimme klang besorgt. »Anja?«
Die Polizeioberkommissarin hatte längst die Straßenseite gewechselt. »Hör zu, dreh endlich den verdammten Zündschlüssel um, und setz dich in Bewegung. Radermacher ist offenbar auf dem Weg in die Wohngruppe. Das gibt’s doch nicht, spaziert der hier in aller Öffentlichkeit herum! Er biegt gerade in die Harmoniestraße ein.«
Sie hörte, wie ein Motor gestartet wurde.
»Sei vorsichtig. Radermacher darf keinen Verdacht schöpfen. Und wer weiß, ob er nicht bewaffnet ist.«
»Die Leitstelle soll Borsch und Eckers informieren.«
»Wir sollten auf Verstärkung warten. Mach keinen Unsinn, Anja. Hörst du?«
Aber POK Anja Mertens hatte ihr Funkgerät an ihren Gürtel gehängt. Sie folgte Radermacher mit dem nötigen Abstand. Dieters Aufforderung, vorsichtig zu sein, tat ihr gut. Sie hatte zwar nie das Gefühl gehabt, dass er in den vergangenen Jahren etwas anderes in ihr gesehen hatte als eine Kollegin. Trotzdem war sie sich nicht sicher gewesen und hatte sich stattdessen eingebildet, sie könne für ihn zumindest eine attraktive Kollegin sein, der man hin und wieder schon mal den Hof machen könnte. Auf jeden Fall würde sie an ihren Ernährungsgewohnheiten arbeiten, nahm sie sich vor.
Radermacher schlenderte unbekümmert die Straße entlang. Außer einer schmalen Reisetasche hatte er nur einen Umhängebeutel dabei.
Bis zur Wohngruppe waren es nur noch wenige Meter. Er sah nicht aus, als sei er auf der Flucht. Aber das konnte durchaus zu seinem Plan gehören, dachte Anja Mertens. Sie war an der Straßenecke kurz stehen geblieben, um ihm den nötigen Vorsprung zu lassen, und hatte dann langsam ihren Weg fortgesetzt. Er würde ihr nicht entkommen. Die Leitstelle hatte sicher schon mehrere Streifenwagenbesatzungen losgeschickt, die das Viertel um Stadtsparkasse und Karstadt weiträumig absperren würden. Wenn Radermacher sich nicht in der Wohnung verschanzte, würde er ihnen früher oder später in die Arme laufen.
Der Sozialarbeiter schloss die Haustür auf und verschwand, ohne sich noch einmal umzusehen. Anja Mertens blieb stehen und drehte sich um. An der Einmündung zur Stresemannstraße hatte sich ihr Kollege mit ihrem Streifenwagen quergestellt. Sie sah, dass er ihr winkte.
Einen Moment lang blieb sie unschlüssig vor dem grauen Gebäude stehen. Dann drückte sie entschlossen auf die Klingel.
Sofort summte der Türöffner. Anja Mertens atmete tief durch und betrat den kühlen Flur. Es roch nach verkochtem Essen. Sie ignorierte Dieters eindringliche Aufforderung zu warten, die blechern an ihr Ohr drang.
Frank sah Lisa fragend an.
»Also, ich finde ihn schön.« Lisa ging langsam um den alten Küchenschrank herum, den Hendrik Jennes eigens aus dem Bunker in seine Werkstatt geschafft hatte.
»Ich weiß nicht. Für das Geld bekommen wir eine ganze neue Küchenzeile«, flüsterte Frank.
Seit einer Stunde waren sie jetzt schon in dem Laden, und seit einer Stunde fühlte Frank sich nicht wohl, da er Jennes’ servile Haltung alles andere als verkaufsfördernd fand.
Lisa wandte sich an Jennes. »Woher stammt das gute Stück, sagten Sie?«
Jennes trat einen Schritt näher. »Ich habe diese handwerklich wirklich hervorragende Tischlerarbeit auf dem Speicher eines Bauernhofs in der Eifel gefunden. Stadtkyll. Der Name sagt Ihnen vermutlich nichts.«
»Wann bin ich schon mal in der Eifel«, brummte Frank wenig motiviert. Er nahm Lisas Hand. Sein Versuch, den Werkstattbesuch auf diese Weise zu beenden, schlug fehl.
»Nun sieh ihn dir doch mal genau an.« Lisa zog ihn näher zum Küchenschrank. »Er ist perfekt aufgearbeitet. Guck nur, die Profile, wie sauber sie sind. Kein Farbrest.« Sie fuhr mit der Hand über die Leisten des Unterteils. »Noch nicht einmal an den versteckten Stellen. Fühl mal.«
Frank hatte keine Lust auf eine eingehende Begutachtung. Er wollte weg. Sollte Lisa doch alleine mit diesem Jennes verhandeln. Wenn sie den Schrank unbedingt haben wollte, hatte er ohnehin keine Chance, den Kauf zu verhindern.
Lisa richtete sich auf. »Massive Kiefer. Und die Scheiben im Aufsatz: reiner Jugendstil.«
»Sie kennen sich aus.« Jennes nickte.
Arschloch, dachte Frank.
Lisa fühlte sich geschmeichelt. »Mit der Zeit kriegt man einen Blick dafür. Aber das ist natürlich nicht mit Ihrem Fachwissen zu vergleichen. Klasse, wie Sie
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