Totenstimmung
genauso wie der höfliche Unbekannte am Tresen. Diese Vorstellung macht mir Angst.«
»Es ist Radermacher«, sagte Ecki bestimmt. Vor allem weil er nicht wollte, dass Frank recht hatte.
»Ich hoffe, du irrst dich nicht.«
Das vorläufige Ergebnis der Vernehmungen konnte sich in gewisser Weise durchaus sehen lassen: auf der einen Seite mehrere geleerte Kannen Kaffee, zwei Schachteln Zigaretten der Staatsanwältin und eine nicht mehr genau zu beziffernde Menge Schokoriegel der Vernehmungsbeamten. Außerdem waren die Schatten um die Augen der beiden Hauptkommissare deutlich dunkler geworden. Selbst Schrievers, der nicht unmittelbar in die Vernehmungen eingebunden war, verspürte Müdigkeit, die er aber seinem intensiven Walking zuschrieb. Auf der anderen Seite gab es kaum greifbare Ergebnisse. Der Sozialarbeiter hatte sich, so gesehen, gut geschlagen.
Für jede Vorhaltung hatte Radermacher eine – zunächst jedenfalls – glaubhafte Erklärung. Seine Absicht, sich wissenschaftlich mit der Frage nach den ästhetischen Aspekten von Gewalt zu beschäftigen, ließ sich nicht widerlegen. So krude das Thema auch war, es gab in der Tat Forschungsprojekte, die sich dieser Thematik seit Jahren widmeten.
Frank und Ecki hatten lange mit Radermachers Doktorvater an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf gesprochen, der natürlich nichts Verwerfliches an dem Thema finden konnte. Seine nur grobe Durchsicht der sichergestellten Unterlagen hatte nichts Ungewöhnliches zutage gefördert. Im Gegenteil: Der angesichts der Ermittlungen gegen seinen Doktoranden höchst irritierte Professor war mehr als erfreut über die, wie er betonte, umfang- und kenntnisreiche Literatur- und Materialsammlung. Radermachers Arbeitseifer rechtfertige seine Überlegung, den Sozialarbeiter für ein Stipendium vorzuschlagen. Radermachers vielversprechende Thesen und theroretische Denkansätze müssten dringend der Wissenschaft erhalten bleiben, hatte er den nun ihrerseits irritierten Polizeibeamten nachdrücklich mitgeteilt.
Nur das Verhältnis zu Barbara Kemmerling konnten die Ermittler Radermacher nachweisen. Das lag aber daran, dass Kemmerling selbst die Ermittler aufgesucht und um Diskretion gebeten hatte. Zudem hatten die Recherchen der MK Elvira ihre Aussage bestätigt. Anhand von Tank- und Bewirtungsquittungen, die die Vorsitzende des Vereins Schmetterlinge e. V. vorgelegt hatte, konnte der Aufenthalt des Liebespaares zum Tatzeitpunkt im Hillesheimer Hotel AugustinerKloster nahezu lückenlos nachvollzogen werden. Die Vorlage eines Fotos von Radermacher an der Hotelrezeption tat ein Übriges.
Übrig war lediglich die vorerst vage Möglichkeit geblieben, dass Radermacher durchaus aus der Eifel nach Mönchengladbach hätte zurückfahren können, um Elvira zu töten, und anschließend in die Arme seiner Geliebten zurückgekehrt war.
Frank wollte einen letzten Versuch unternehmen, Radermacher zu einem Geständnis zu bewegen. Er hatte dafür extra die Harps in den Vernehmungsraum mitgebracht.
Auch der Sozialarbeiter sah übernächtigt aus. Aber seine Stimmung war ungebrochen zuversichtlich. Er wusste oder ahnte zumindest, dass er nicht mehr lange in der Obhut der Mönchengladbacher Polizei sein würde.
»Kaffee?« Frank legte die Harps auf den Tisch.
Radermacher schüttelte den Kopf und betrachtete interessiert die verschiedenen Mundharmonikas.
»Sie kennen sie?« Frank setzte sich Radermacher gegenüber.
Radermacher schüttelte erneut den Kopf. »Sollte ich?«
»Diese Mundharmonikas sind Teil unserer Ermittlungen.«
Frank legte die vier Bluesharps zu einer Reihe zusammen. Selbst durch die Beutel glänzten ihre verchromten Deckel im Deckenlicht des Vernehmungsraumes.
»Darf ich?«
»Nur zu.« Frank beobachtete, wie Radermacher einen Beutel nach dem anderen in die Hand nahm und die Harps von allen Seiten betrachtete.
»Ziemlich klein, oder?« Radermacher legte sie in der exakt gleichen Anordnung auf den Tisch zurück.
»Zu klein wozu?«
»Das sind doch keine Mordinstrumente, oder?«
Frank meinte einen spöttischen Unterton zu hören. Der Sozialarbeiter hatte die Augen halb geschlossen, als müsse er jedes einzelne Instrument genau fixieren.
»Mit einer Bluesharp kann man keinen Mord begehen, mir sind jedenfalls keine solchen Fälle bekannt.«
Volker Radermacher nickte. »Na ja, sieht man mal davon ab, dass man mit schiefen Tönen seine Zuhörer zum Wahnsinn treiben kann.«
»Hören Sie auf mit dem Blödsinn!« Frank schlug auf
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