Totentaenze
Mutter gesprochen hatte?
»Klar«, versicherte auch Vanessa rasch.
»Denkt daran, was ihr versprochen habt!«, erinnerte uns Klara an unseren Freundschafts-Schwur.
»Jaja«, Vanessa nickte ungeduldig. Ihr war anzusehen, dass sie in diesem Moment dem Teufel ihre Seele verkauft hätte, nur um hinter Klaras Geheimnis zu kommen.
»Ihr wundert euch sicher über das alles hier.« Klara machte eine umfassende Handbewegung. »Das leere Haus und so.«
»Nun, ihr seid ja gerade erst eingezogen …«, sagte ich, als wäre es an mir, eine Entschuldigung für die seltsamen Umstände in diesem Haus zu finden.
»Wir sind nicht eingezogen, wir sind geflohen«, präzisierte Klara.
»Vor wem?«, fragte Vanessa.
»Mein Name ist auch nicht Klara Zink.« Klara ignorierte die Frage.
»Nein? Wie heißt du dann?« Ich war verblüfft.
»Das darf ich nicht sagen. Ist auch egal, ist nicht das erste Mal, dass ich mich an einen neuen Namen gewöhnen musste.«
»Aber … aber … wieso …?«, stammelte ich.
»Meine Mutter und ich leben quasi im Untergrund. Man nennt das Zeugenschutzprogramm.«
»Das kenn ich«, behauptete Vanessa voller Eifer. »Kronzeugen, die gegen die Mafia aussagen, werden unter ein Zeugenschutzprogramm gestellt. Die kriegen dann eine komplett neue Identität, meistens im Ausland. Ist es so was?«
»In etwa«, sagte Klara. »Es muss aber nicht unbedingt mit der Mafia zu tun haben.«
»Sondern?«, bohrte Vanessa.
»Darüber darf ich nicht sprechen«, wehrte Klara ab. Vanessa zog eine enttäuschte Grimasse.
»Ist deine Mutter deshalb vorhin so erschrocken, als das Telefon geklingelt hat?«, kombinierte ich.
Klara nickte. »Ja. Das war seltsam. Denn eigentlich hat niemand diese Nummer – bis auf eine Kontaktperson bei der Staatsanwaltschaft. Und es sollte auch schon längst abgemeldet sein. Wir sprechen nur über unsere Handys.«
»Vielleicht war es ja diese Kontaktperson«, meinte Vanessa.
»Nein. Dann klingelt es nicht so lange.«
»Es könnte sich auch jemand verwählt haben«, sagte ich.
»Oder ein Werbeanruf«, überlegte Vanessa, ehe ihr einfiel, dass Klara die wichtigste Frage noch nicht beantwortet hatte: »Wer verfolgt euch denn und weshalb?«
»Meine Mutter hat vor drei Jahren durch Zufall einen Mord beobachtet.«
Vanessa und ich sahen uns an, uns standen die Zweifel ins Gesicht geschrieben. Klara fuhr mit ernster Stimme fort: »Es hatte was mit Spionage in ihrer Firma zu tun. Sie hat für ein Pharmaunternehmen gearbeitet. Sie kann den Mörder identifizieren und der weiß, dass sie das kann.«
»Aber warum tut sie es dann nicht? Er würde doch ins Gefängnis kommen«, fragte Vanessa einfältig.
»Sie ist ziemlich krank, die ganze Aufregung bei so einem Prozess würde sie im Moment nicht durchstehen. Ein Verfahren gegen den Mörder wird erst dann möglich sein, wenn es meiner Mutter wieder besser geht. Und außerdem hat sie furchtbare Angst, dass sich der Mörder oder einer seiner Freunde an ihr rächt oder an mir«, antwortete Klara.
»Lieber Himmel«, sagte Vanessa entsetzt. Mir hatte es die Sprache verschlagen. Spionage? Mord?
»In der letzten Stadt wohnten wir gerade mal drei Monate, in der davor acht. Immer wieder kriegen wir einen Anruf, dass wir verschwinden müssen, und dann erscheint mitten in der Nacht ein gepanzerter Wagen, der uns wegbringt. Deshalb haben wir auch kaum Möbel. Ein Transporter wäre viel zu auffällig. Wir kaufen jedes Mal neue Sachen, aber allmählich haben meine Mutter und ich die Nase voll davon. Immer, wenn wir gerade einigermaßen eingerichtet sind, wenn ich Freunde gefunden habe, dann müssen wir wieder weg. Es scheint eine undichte Stelle in der Staatsanwaltschaft zu geben, anders kann ich es mir nicht erklären«, seufzte Klara.
»Warum wandert ihr nicht aus?«, schlug Vanessa, wie immer praktisch denkend, vor.
»Daran haben wir auch schon gedacht. Aber die Polizei meint, im Ausland könne sie uns noch weniger schützen als hier. Und der Einfluss solcher Leute reicht sehr weit.«
Daran hatten Vanessa und ich erst mal zu knabbern. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie es wäre, sich nirgends auf der Welt verstecken zu können, nirgendwo einen Ort zu haben, wo man bleiben konnte. Plötzlich sah ich mein normales, manchmal etwas langweiliges Zuhause mit ganz anderen Augen: Es war ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit. Was musste das für ein Gefühl sein, wenn man sich nicht einmal in den eigenen vier Wänden, sozusagen im »Schoß der Familie« sicher
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