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Totentaenze

Totentaenze

Titel: Totentaenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian , Krystyna Kuhn , Manuela Martini , Susanne Mischke
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bereitwillig geschluckt, waren wir naive Gänse, die von Klara gründlich verarscht worden waren? Aber welchen Grund hätte sie dafür gehabt? Warum sollte Klara uns so eine abstruse Geschichte erzählen? Aus Spaß? Um sich interessant zu machen? Unsinn, das hatte sie doch gar nicht nötig. Sie war auch so interessant genug und sie wusste sehr wohl um ihre Ausstrahlung. Der Freundschaftsschwur fiel mir ein, den sie uns abgenötigt hatte. Das hatte ernst geklungen, unsere Loyalität schien ihr wichtig zu sein. Nein, Daniel tat ihr unrecht, sie war nicht durchgeknallt, ganz offenbar hatte sie vor etwas Angst. Und sie brauchte Freunde, die zu ihr standen. Aber wobei? Was konnten wir schon für sie tun?
    Nachdenklich wanderte mein Blick aus dem Fenster. Unser Klassenraum lag im Erdgeschoss zur Straßenseite hin. Es war eine – bis auf die Schülerhorden – ruhige Anliegerstraße, die meisten Menschen, die dort wohnten, kannte ich inzwischen. Auf dem gegenüberliegenden Gehweg stand ein Mann und rauchte. Er fiel mir auf, weil es den Schülern verboten worden war, vor den gegenüberliegenden Häusern herumzustehen und zu rauchen. Ich hatte diesen Mann noch nie gesehen. Er war ungefähr so alt wie mein Vater, trug eine dunkle Stoffhose und ein sandfarbenes, langärmeliges Hemd ohne Krawatte. Er wirkte wie einer, der aus einem Büro kam. Vielleicht ein Vater, der auf sein Kind wartete? Aber wir hatten erst die vierte Stunde und selbst die hatte gerade erst angefangen. Er stand nahezu reglos da, rauchte und starrte dabei das Schulhaus an. Was gab es da zu sehen? Ein marodes Betongebäude aus den Siebzigern, auf dem ein paar Graffitis prangten. Ich musste wieder an Klaras Geschichte denken. Woran erkennt man diejenigen, die hinter einem her sind? Wie mochten sie aussehen, die Männer, vor denen Klara und ihre Mutter sich verstecken mussten? So unauffällig wie dieser Mann da draußen? Andererseits – würde man Verbrechern ihr Verbrecher-Sein ansehen, so wie in diesen alten Wildwestfilmen, in denen die »Bösen« immer schwarze Hüte trugen, dann wäre die Verbrechensbekämpfung wohl um einiges einfacher … Quatsch! Ich schüttelte den Kopf, schimpfte in Gedanken mit mir selbst. Drehte ich jetzt völlig durch? Wie kam ich dazu, irgendwelche wildfremden Menschen zu verdächtigen? In diesem Moment drehte der Mann den Kopf und sah mir direkt in die Augen. Ich fuhr erschrocken zusammen. Irgendetwas an dem Typen da draußen war unheimlich. War es möglich, von dort, wo er stand, durch die Scheiben nach drinnen zu sehen? Rasch wandte ich mich ab und schaute zu Vanessa hinüber. Die passte auch nicht auf, sondern fertigte gerade eine Karikatur von Frau Hagedorn an. Vanessa konnte exzellent zeichnen und hatte einen scharfen Blick für die Besonderheiten eines Gesichts. Bei mir geriet immer die Nase einen Tick zu lang und die Augenbrauen waren jedes Mal ein wenig zu scharf abgewinkelt – Vanessa behauptete, ich hätte ein Fuchsgesicht. Frau Hagedorn dagegen erinnerte ein bisschen an eine Schildkröte. Klara verfolgte mit mäßiger Aufmerksamkeit den Unterricht und kaute dabei auf einem Bleistift herum. Sollte ich sie auf den Mann aufmerksam machen? Aber was hätte das für einen Sinn? Würde ich sie nicht bloß verrückt machen?
    »Carolin? What do you think about this problem?«, riss mich Frau Hagedorns Stimme aus meinen Überlegungen.
    Was? Wie? Worum ging’s? Verdammt!
    Frau Hagedorn schüttelte mit leisem Tadel den Kopf und meinte: »What are you dreaming about during my lesson?«
    Ein paar Idioten kicherten, ich entschuldigte mich. Als ich wieder wagte, nach draußen zu schielen, trat der Mann gerade seine Zigarette aus und ging auf einen silberfarbenen VW-Golf zu, der mir nur auffiel, weil mein Vater fast denselben Wagen fuhr. Nur hatte dieser hier auffällige Speichenfelgen. Der Mann setzte sich hinters Steuer und fuhr langsam die Straße hinunter. Krampfhaft versuchte ich, das Kennzeichen zu entziffern, aber ein entgegenkommender Lieferwagen nahm mir die Sicht. Nein, natürlich würde ich Klara nichts von dem herumlungernden Mann sagen – es gab überhaupt keinen Grund, ihr damit einen unnötigen Schrecken einzujagen.
    Ich ahnte nicht, wie bald ich diesen Entschluss bereuen sollte.
    Später an diesem Tag, ich war auf dem Weg zum Fußballtraining, sah ich Daniel aus der Sporthalle kommen. Er spielte dort jeden Freitagnachmittag Basketball. Er winkte mir lässig zu und ich ging zu ihm rüber. Die Unterhaltung von heute

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