Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
kann sie nicht ins Haus lassen. Die Vorschriften verbieten das ausdrücklich. Den gestrigen Verstoß habe ich bereits gemeldet.«
»Sie braucht kein eigenes Zimmer«, versuchte er sie zu überreden.
»Sie ist nicht registriert. Und hat deshalb auch keinen Zutritt.«
»Aber ich dachte, das hier sei ein Gästehaus.«
»Nicht diese Sorte Gästehaus.«
»Sie meinen, die Sorte, die Gäste aufnimmt?«
»Nur, sofern diese Gäste auch auf der Liste stehen.« Sie war ein unbewegliches Objekt. »Vorschriften sind Vorschriften. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder tun und lassen würde, was er will?«
»Ganz recht. Und wie verhält es sich mit Beweisen?«, fragte die unaufhaltsame Kraft namens Dr. Siri.
»Ich … was?«
»Beweise, Genossin. Ich bin der staatliche Leichenbeschauer. Ich bin im Auftrag des Präsidenten in den Norden gekommen, um Beweise zu sammeln.«
»Sind Beweise nicht in aller Regel Gegenstände?«
»Durchaus, jawohl. Aber auch ein Foto oder eine Aussage kann ein Beweisstück sein. Oder eine Person, die Beweise am Körper trägt.«
»Ich glaube, ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen.«
»Dieses kleine Mädchen« – er zerrte Dtui, die Panoy im Arm hielt, hinter seinem Rücken hervor – »ist mit Fingerabdrücken förmlich übersät.«
»Fingerabdrücke an einem Menschen? Das soll wohl ein Witz sein?«
»Mir scheint, Sie sind mit den jüngsten Entwicklungen auf dem Gebiet der Forensik nur unzureichend vertraut. Was glauben Sie wohl, warum wir sie gestern Abend nicht haben duschen lassen? Nach dem Gesetz – und ich bin nicht nur Leichenbeschauer, sondern auch Jurist, ich weiß also, wovon ich spreche – ist dieses Mädchen gar keine Person im eigentlichen Sinne. Sie ist ein Corpus Delicti. Kurz gesagt, sie ist mein Beweisstück. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, die Fingerabdrücke von ihr zu entfernen und ins Justizministerium zu bringen, würde ich das selbstverständlich tun. Aber das wäre eine recht blutige und ethisch kaum zu vertretende Angelegenheit. Sie ist das Beweisstück, an dem sich die Fingerabdrücke befinden. Sie brauchen sich also weiter keine Sorgen zu machen, weil das Mädchen nicht auf Ihrer Liste steht.«
»Ach … nein?«
»Nein. Denn da sie rechtlich gesehen keine Person ist,
kann sie auch kein Gast sein.« Lächelnd zwinkerte er ihr zu. Er bezweifelte, dass sie dumm genug war, ihm diesen Unsinn abzukaufen, aber er hatte ihr die Möglichkeit gegeben, die Vorschriften halbwegs elegant zu umgehen.
»Hm.«
»Genosse Lit von der Staatssicherheit wird Ihnen das sicherlich bestätigen.«
Das linke Auge der Frau musterte erst Siri, dann das Mädchen. Das rechte Auge tat es ihm einen Sekundenbruchteil später nach. Schließlich richteten sich beide Augen auf Dtui. »Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«
Dtui zuckte die Achseln. »Ich bin Krankenschwester. Mit Gesetzen kenne ich mich nicht aus. Ich hätte gar nicht gewusst, wo ich anfangen soll. Außerdem dachte ich, in seiner Eigenschaft als Rechtsberater des Präsidenten kann Genosse Siri Ihnen die Sache sehr viel besser erklären.«
»Ähm, ja. Meine Güte. Ich hatte ja keine Ahnung.«
Panoy lag in Dtuis Zimmer und schlief tief und fest. Siri und Dtui saßen auf dem Balkon und hatten die Füße auf die Brüstung gelegt. Dtui hatte dem Doktor soeben ihr Dilemma geschildert. Siri grunzte.
»Also, eigentlich ist es ja ein wunderbares Kompliment«, sagte sie und blickte zu der Felswand hinauf, die vor ihnen aufragte wie eine teuflische Schwiegermutter. »Schließlich kann er sich die Frauen aussuchen. In seiner Position. Er wird die Treppe vermutlich immer weiter rauffallen, bis er eines Tages Premierminister ist. Wenn nicht gar Präsident. Frauen haben eine Schwäche für mächtige Männer. Aber wenn er es tatsächlich einmal so weit bringt, wird er sich von mir wohl kaum in seine Politik reinreden lassen
wollen. Ich würde ihm wahrscheinlich furchtbar auf die Nerven gehen. Und wenn ich mich ein wenig am Riemen reißen würde? Ich könnte den Haushalt machen und die Regierungsgeschäfte ihm überlassen.«
Siri trank einen Schluck Tee und lächelte.
»Ich meine«, fuhr sie fort, »er müsste sich natürlich auch ändern. Ohne Kompromisse keine gute Ehe. Stimmt’s? Sie und Boua mussten doch bestimmt auch jede Menge Kompromisse schließen. Und Sie waren immerhin hundertsoundsoviel Jahre zusammen. Von nichts kommt nichts.« Auch sie nippte an ihrem Tee.
Sie beobachteten einen Reiher, der im Licht des
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