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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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hinweg.
    Die Denguemücke ist deshalb so gefährlich, weil sie zur Unzeit zuschlägt. Wenn die Sonne hinter dem Horizont versinkt, geraten gewöhnliche Mücken außer Rand und Band. Die Leute wissen das und beugen vor, indem sie lange Ärmel tragen, sich mit Mückenschutz einreiben und ihre Spiralen einschalten. Nachts schlafen sie unter Netzen. Das ist so eine Art stillschweigende Übereinkunft
zwischen dem Menschen und seinem Blut saugenden Widersacher. Doch die Denguemücke käme nicht im Traum auf die Idee, sich an diese Vereinbarung zu halten. Sie fällt am helllichten Tag über ihr Opfer her, während selbiges im Schweiße seines Angesichts ein Feld beackert, in einer schattigen Hängematte schaukelt oder splitternackt am Nam-Ngum-Stausee sitzt und darauf wartet, dass seine Kleider trocknen.
    Die Inkubationszeit der Krankheit beträgt fünf bis sieben Tage. Kurz darauf weiß man, ob die entsprechende Variante einem lediglich heftige Beschwerden verursacht, aber nicht zum Tode führt, oder ob man sich das verflixte Fieber eingefangen hat, das für ein rasches, aber ungemein qualvolles Ableben sorgt. Trotz des ausbleibenden Regens hatten die mittäglichen Attacken der heimtückischen Bluträuber Zehntausende von Menschenleben gefordert. Die diesjährige Epidemie hatte ihren Ursprung im Norden der Provinz Vientiane, vermutlich in der Gegend rings um den Staudamm.
    Geung schlug sich einen Sekundenbruchteil zu spät auf den Arm. Er pickte den Übeltäter von seiner Haut. Die Mücke war winzig, schwarz-weiß gestreift und blutverschmiert. Er fragte sich, wie so viel Blut in ein so kleines Tier hineinging.
     
    Die Leute hatten den sonderbaren Burschen, der auf seinem langen Marsch entlang dem Südwestufer des Stausees durch ihre Dörfer kam, mit offenen Armen empfangen. Bevor politische Täuschung und Zersplitterung in Laos Einzug gehalten hatten, war derlei völlig normal gewesen. Wenn ein Fremder das Haus betrat, so gab man ihm, was man entbehren konnte. Selbst Familien, die
kaum genug zu beißen hatten, um ihre Kinder zu ernähren, kredenzten dem Besucher eine Schüssel Klebreis mit scharfer Gemüsesauce. Man begegnete einander mit Vertrauen und Respekt.
    In den großen Städten war dieses Gemeinschaftsgefühl weitgehend verloren gegangen. In den kleinen Dörfern hingegen klammerten sich die Alten an die Hoffnung, dass die laotischen Sitten und Gebräuche sich gegen die Politik behaupten würden. Sie gaben Geung zu essen und Balsam für seine Haut, verarzteten seine Blasen und Blessuren und boten ihm ein Bett für die Nacht. Sie mussten laut schreien, um sich verständlich zu machen, da für ihn sämtliche Geräusche zu einem undeutlichen Unterwassersummen verschwammen. Obwohl sie sich alle Mühe gaben, konnten sie ihn nicht von seinem törichten Vorhaben abbringen, zu Fuß in die Hauptstadt zu wandern. Sie brüllten »Viel Glück« und sahen ihm nach, wenn er gen Süden humpelte. Niemand rechnete damit, dass er sein Ziel lebend erreichen würde.
    Auch Herr Geung bekam allmählich ein ungutes Gefühl. So weit war er sein Lebtag noch nicht gelaufen. Schon spürte er, wie seine Kräfte schwanden. Er wusste nicht, wie viele Sonnenaufgänge er schon gesehen, wie viele Schritte er zurückgelegt hatte. In seinem Kopf gingen seltsame Dinge vor. Er schien sich in eine Motte zu verwandeln. Vientiane war eine elektrische Glühbirne, die ihn magisch anzog. Sie blendete ihn, tauchte alles um ihn herum in dichten Nebel und trübte seinen Verstand so sehr, dass er häufig nicht mehr wusste, wo er war oder mit wem er sprach. Jede Frau, die ihm begegnete, nannte er Dtui, jeden Mann Genosse Doktor.

    Siri und Dtui saßen unweit der Bruchstelle auf dem Betonweg und schwiegen. Das »Beweisstück« erholte sich noch immer von dem Trauma, das sie unter den wachsamen Augen der Leiterin des Gästehauses durchlitten hatte. Die Sonne verbarg sich hinter Wolken, und der Himmel verhieß eine deprimierende Regenperiode – nicht den guten alten Südwestmonsun, sondern feinen Nieselregen, der aufs Gemüt schlug und das Denken erschwerte. Siri blockierte die Marschroute einer Kolonne roter Ameisen. Bevor sie in die Richtung zurückliefen, aus der sie gekommen waren, trat jede Ameise einzeln vor, um sich den Doktor aus der Nähe anzusehen, wie die Besucher eines Mausoleums.
    »Vielleicht suchen wir an der falschen Stelle«, sagte Dtui schließlich. Siri hatte ihr das Versteck der Kubaner und den grausigen Altarraum gezeigt. Weder hier noch da

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