Totentöchter - Die dritte Generation
kurz bevor das Baby zur Welt kam, und im Gegensatz zu Jenna, die in aller Stille älter geworden
ist, hat sie eine große Sache daraus gemacht. Es hat einen großen Kuchen mit springenden Einhörnern aus Zuckerguss gegeben und die Diener mussten für sie singen, und Linden hat ihr eine wundervolle Diamanthalskette geschenkt, die sie niemals Anlass hat, zu tragen. Eine Zeit lang hat sie die Kette im Haus getragen, aber seit Bowens Geburt habe ich sie nicht mehr gesehen.
»Sie wirkt so müde. Hast du ihr mit dem Baby geholfen?«, frage ich Linden.
»Immer wenn ich kann«, sagt er und kräuselt auch ein wenig die Stirn. Wir haben beide unsere Stimmen gesenkt. »Es ist nicht leicht, ihn meinem Vater zu entreißen. Er ist so begeistert, endlich einen Enkel zu haben.« Er sieht mich an, und einen Augenblick denke ich, er wird mir erzählen, was ich schon weiß – dass er ein Baby hatte, das nicht gelebt hat. Ein kleines Stück von Rose, das er hätte behalten dürfen. Aber er sagt nur: »Du siehst hinreißend aus«, und nimmt meinen Arm.
Draußen ist es eiskalt, aber Deidres Schal hält meine Schultern warm. Linden macht eine scherzhafte Bemerkung darüber, ob wir das Schiebedach öffnen sollten. Aber ich schmiege mich nur an ihn und sage, dass wir es geschlossen lassen können. Wegen der getönten Scheiben und der Dunkelheit der Nacht kann ich nicht genau erkennen, wo das Baumhologramm ist. Doch als wir in der Stadt sind, achte ich auf die Straßen. Ich drücke mich ganz dicht ans Fenster und suche nach markanten Stellen, an denen Gabriel und ich uns orientieren können, wenn wir ausgebrochen sind.
Linden lächelt strahlend.
»Was ist?«, sage ich.
»Du. Du bist so aufgeregt.« Er steckt mir eine steif gesprayte Haarsträhne hinters Ohr. »Das ist süß.«
Ich bin völlig überrascht von seiner Bemerkung. Er bewundert mich, und ich denke nur daran, wie ich von ihm wegkomme, ohne mich noch mal umzuschauen. Ich habe solche Schuldgefühle, dass ich ihn mit einem Lächeln belohne, als er mich auf die Wange küsst. Doch ich halte weiterhin die Augen offen.
Als Erstes werden wir nach dem Kino Ausschau halten. Das müsste leicht zu finden sein, egal, wo wir sind. Die Leuchtreklame ist so strahlend hell, und das Neonschild an der Tür prahlt damit, dass es vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet ist. Dann gibt es noch ein Fischrestaurant mit leuchtend roten Tischen und Papierlaternen. Und da fällt mir ein, dass wir ja nicht weit weg vom Meer sind. Als wir um eine Ecke biegen, habe ich einen guten Blick darauf. Weiter draußen auf See kann ich Jachten mit vielen Lichtern sehen. Sogar bei geschlossenen Fenstern kann ich die Musik hören, die dort gespielt wird. »Sie feiern Partys auf dem Wasser?«, frage ich.
»Ich nehme an, die Jachtklubs machen das«, sagt Linden, der mir über die Schulter schaut.
»Bist du schon mal auf dem Wasser gewesen?«, frage ich ihn.
»Einmal, als ich klein war«, sagt er. »Aber ich war zu jung, um mich daran zu erinnern. Mein Vater hat mir erzählt, dass ich tagelang seekrank war. Eine Art Veranlagung, sagt er. Seitdem habe ich das Wasser gemieden.«
»Deshalb steigst du also nie in den Pool oder hast schwimmen gelernt«, sage ich.
Er nickt.
Ich versuche, mein Entsetzen zu verbergen. Vaughn hat seinen Sohn so absolut unter Kontrolle, dass er ihm nicht mal erlauben kann, im Pool die Illusion des echten Ozeans zu genießen. Ich habe meine Zweifel, dass an dieser Geschichte von der Seekrankheit überhaupt etwas dran ist. Vielmehr scheinen die Kinderkrankheiten und seine angebliche Gebrechlichkeit Dinge zu sein, die Vaughn erfunden hat, damit sein Sohn sich nicht zu weit vorwagt.
Ich lege Linden die Hand aufs Knie und sage: »Wenn es wieder warm wird, bringe ich dir das Schwimmen bei. Es ist leicht. Wenn du es einmal gelernt hast, wirst du nicht mal untergehen können, wenn du es darauf anlegst.«
Er sagt: »Das möchte ich gern.«
Und dann fällt es mir wieder ein. Wenn es warm wird, werde ich weit weg von hier sein. Ich kann einen letzten Blick aufs Meer werfen, bevor es hinter Gebäuden verschwindet. Die Wellen rollen an den Jachten und den Lichtern vorbei in die tiefe Nacht, in die Ewigkeit. Dorthin wird Linden mir nie folgen können. Und Gabriel sagt, er liebt Boote. Ob er wohl genug darüber weiß, dass wir davonsegeln können?
Die Party findet im fünfzehnten Stock eines überwältigenden Wolkenkratzers statt. Auf dem Tanzboden bleiben die Abdrücke der Sohlen ein paar
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