Totentöchter - Die dritte Generation
verbringt und dass er uns alle bald retten wird. Ich wünschte, ich würde das auch glauben.
»Aber, Liebling …«
»Nein. Nein, du machst etwas und du machst es jetzt sofort.«
Gedämpft fangen sie an, sich zu streiten. Ihre Stimmen kreiseln und kreiseln und Cecilys Schluchzer klatschen um mich herum wie Wellen und ich halte es nicht aus. Sie sollen beide weggehen. Vaughn und sein kleiner Liebling. Ich klettere zu Jenna ins Bett und wische
ihr das Blut von den Lippen. Sie ist schon dabei wegzudriften.
»Bitte«, flüstere ich in ihr Ohr. Ich weiß nicht, worum ich sie bitte. Ich weiß nicht, was ich von ihr erwarte.
Vaughn geht, gnädigerweise, und Cecily klettert zu uns ins Bett. Ihr dramatisches Weinen erschüttert die Matratze und ich fahre sie an: »Sie schläft. Weck sie nicht auf.«
»Tut mir leid«, flüstert sie und legt mir den Kopf auf die Schulter. Danach höre ich keinen Laut mehr von ihr.
Jenna fällt in einen unerreichbaren Schlaf, während Cecily und ich durch unsere eigenen Albträume irren. Ich höre Cecily murmeln, wenn sie sich neben mir bewegt, aber ich kann keine meiner Schwesterfrauen erreichen. Wieder und wieder laufe ich durch die Bäume und es ist kein eisernes Tor in Sicht. Manchmal ertrinke ich. Die Wellen schlagen über mir zusammen, bis ich nicht mehr weiß, wo oben ist.
Keuchend wache ich auf. Die Feuchtigkeit an meinem Hals kommt von Cecily, die sich schwitzend, weinend und sabbernd an mich presst. Ihre Lippen bewegen sich, versuchen Worte hervorzubringen. Ihre Augenbrauen sind zusammengezogen.
Am anderen Ende des Flurs schreit und schreit das Baby und die Muttermilch durchnässt Cecilys Hemd, doch sie darf ihren Sohn nicht stillen. Vaughn nimmt ihn immer mit. Er hat eine Amme eingestellt, und er sagt, so sei es gesünder für Cecily. Aber sie sieht immer aus, als hätte sie Schmerzen. Meine Schwesterfrauen welken wie die Lilien meiner Mutter, und ich weiß nicht, wie ich sie wieder zum Leben erwecken soll. Ich weiß nicht, was ich machen soll.
Jenna schlägt die Augen auf und mustert mich. »Du siehst schrecklich aus«, sagt sie heiser. »Wonach riecht es hier?«
»Muttermilch«, sage ich.
Von meiner Stimme wird Cecily wach. Sie verschluckt sich an ihrer Spucke und beschwert sich darüber, dass ihr die Musik nicht gefällt. Dann öffnet sie die Augen, und ihr wird klar, wo sie ist. Sie setzt sich auf. »Was ist los? Geht es dir besser?« Das Baby weint immer noch und sie schaut zur Tür. »Ich muss ihn füttern«, sagt sie und stolpert auf dem Weg nach draußen über die Schwelle.
»Irgendwas stimmt nicht mit ihr«, sagt Jenna.
»Das merkst du jetzt erst?«, sage ich und wir lachen beide ein bisschen.
Jenna schafft es, sich aufzusetzen, und ich kann ihr etwas Wasser einflößen. Ich glaube, sie trinkt nur meinetwegen. Sie ist blass und ihre Lippen haben eine leicht violette Färbung. Ich versuche, einen Vergleich zu Rose zu ziehen, die an guten Tagen immer noch in der Lage war, einen gesunden Eindruck zu erwecken. Mir fällt ein, wie die Junibeeren ihren Mund in den wildesten Tönen gefärbt haben, und ich überlege, ob das zu ihrer Tarnung gehört hat. Ihr Gesicht war immer rosig geschminkt. Mir fällt ein, wie sie die Arzneien gehasst hat und wie sie darum gebettelt hatte, einfach sterben zu dürfen.
»Hast du große Schmerzen?«, frage ich.
»Ich kann meine Arme und Beine nicht richtig spüren«, sagt Jenna. Sie lacht leise. »Ich gehe also mal davon aus, dass ich früher hier rauskomme als du.«
»Bitte, sag das nicht.« Ich streiche ihr das Haar aus der Stirn.
»Ich habe geträumt, dass ich mit meinen Schwestern in dem Lastwagen war«, sagt sie. »Aber dann hat jemand die Tür aufgemacht und ich habe sie angeschaut und dich und Cecily an ihrer Stelle gesehen. Rhine, ich glaube, ich fange an zu vergessen, wie sie ausgesehen haben. Wie ihre Stimmen geklungen haben.«
»Ich vergesse die Stimme meines Bruders.« Das wird mir erst klar, als ich die Worte ausgesprochen habe.
»Aber sein Gesicht vergisst du nicht. Weil ihr Zwillinge seid.«
»Das hast du rausgekriegt, was?«
»Deine Zwillingsgeschichten waren zu anschaulich für etwas Ausgedachtes«, sagt sie.
»Aber wir sind keine eineiigen Zwillinge«, sage ich. »Jungs und Mädchen können keine eineiigen Zwillinge sein, weißt du. Und ich vergesse schon ein bisschen, wie er aussieht.«
»Du wirst ihn wiedersehen«, sagt sie, und das klingt so, als wäre sie sich sicher. »Du hast mir gar nicht erzählt,
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