Totentöchter - Die dritte Generation
die Schminke ab, spüle mein Haar im Waschbecken aus und ziehe mein Nachthemd über. Aber mir wird schnell klar, dass ich nicht schlafen kann. Meine Knochen wollen noch tanzen und mein Kopf ist voller Lichter und Musik und Gedanken ans Meer. Wenn ich wirklich ein Waisenkind wäre, wie Linden glaubt, wenn ich wirklich meine Kindheit in einer
Schule für Bräute verbracht hätte, dann wäre es schön, so ein Leben zu führen, glaube ich. Ich könnte verstehen, wie ein Mädchen sich darin verlieren kann.
Ich möchte Deidre rufen, damit sie mir die steifen Knöchel massiert oder mir ein Kamillenbad einlässt – etwas, das ich anscheinend selbst nicht zustande bringe –, aber mir fällt ein, wie spät es ist, und ich entscheide mich dagegen. Stattdessen klopfe ich an Jennas Tür. Sie ist schlaftrunken, und ich frage sie, ob ich zu ihr ins Bett darf. In der Dunkelheit kann ich ihr Nicken erahnen.
»Hast du die Freiheit von mir gegrüßt?«, fragt sie, als ich meine Arme um ein Kissen schlinge und sie die Decke über mich breitet.
Ich erzähle ihr von den Eiszapfen und dem Schneehologramm und dem Essen. »Die in Schokolade getunkten Erdbeeren waren zum Sterben gut«, schwärme ich. »Es gab da einen riesigen Brunnen mit blubbernder Schokolade. Ich wünschte, du wärst dabei gewesen.«
»Klingt schön«, sagt sie. Ihre Stimme klingt ein wenig gepresst und sie hustet. Heute Nachmittag hat sie auch schon gehustet und in den letzten Tagen war sie ein wenig blass. Ich rutsche näher an sie heran und lege ihr die Hand auf die Stirn, aber Linden ist nicht der Einzige, der etwas getrunken hat, und ich kann nicht sagen, ob sie heiß ist.
»Fühlst du dich schlecht?«, frage ich.
»Ich bin nur müde. Und ein bisschen verschleimt. Das ist das Wetter.« Wieder hustet sie, und ich spüre, wie etwas Warmes meine Wange trifft. Mir wird eiskalt.
»Jenna?«, sage ich.
»Was denn?«
Ich will hierbleiben, im Dunkeln, und keinen Schritt auf diese neue Angst zu machen. Ich will einschlafen und morgens aufwachen und feststellen, dass alles in Ordnung ist.
Aber das tue ich nicht. Ich strecke den Arm aus und schalte das Licht an. Jenna hustet wieder und ich sehe die Blutspritzer auf ihren Lippen.
Das Baby will nicht aufhören zu weinen. Sein Gesicht ist rot angelaufen und Cecily hat ihn an die Schulter gelegt. Sie läuft mit ihm hin und her und murmelt ihm nette Sachen zu, obwohl ihr dicke Tränen übers Gesicht laufen. Sie versucht nicht, sie wegzuwischen.
Und Vaughn untersucht Jenna, befühlt ihren Hals, drückt ihre Zunge mit seinem papiernen Finger herunter, damit er ihr in den Rachen gucken kann, und ich sehe, wie sie seine Nähe hasst. Und sie wirkt so schlapp.
Linden nimmt das Baby. Eine Sekunde lang macht der Kleine gurgelnde Geräusche, dann schreit er weiter. Ich presse die Handballen gegen meine Schläfen und sage: »Bringst du ihn bitte hier raus?«
Vaughn fragt Jenna zum dritten Mal, wie alt sie ist. Und sie sagt ihm zum dritten Mal, dass sie neunzehn ist. Und ja, da ist sie sich sicher.
Linden bringt das schreiende Baby aus dem Zimmer, aber wir können ihn alle immer noch hören.
»Was hat sie?«, fragt Cecily. »Was fehlt ihr?«
»Es ist das Virus«, sagt Vaughn. Vermutlich beabsichtigt er, zerknirscht zu klingen, aber ich sehe nur die Zunge der großen Schlange aus dem Bilderbuch hervorschnellen. Jennas Leben bedeutet ihm nichts.
»Nein«, sagt jemand. Und ich begreife, dass es meine eigene Stimme war. Cecily berührt meinen Arm und ich schüttele sie heftig ab. »Das ergibt keinen Sinn. Das ist unmöglich.«
Jennas Augen fallen zu. Sie kann nicht mal lange genug wach bleiben, um zu hören, dass sie stirbt. Wie ist es möglich, dass sie so schnell krank geworden ist?
»Aber du kannst das in Ordnung bringen, nicht wahr?«, sagt Cecily. Tränen durchnässen den Kragen ihrer Bluse. »Du arbeitest an einem Gegenmittel.«
»Ich fürchte, das gibt es noch nicht«, sagt Vaughn. »Aber vielleicht können wir ihre Lebenszeit verlängern, bis es so weit ist.« Er tippt Cecily auf die Nase, doch sie ist nicht länger entzückt über seine Vorzugsbehandlung und ich sehe sie einen Schritt zurück machen. Sie schüttelt den Kopf.
»Woran zum Teufel hast du dann gearbeitet?«, sagt sie. »Die ganze Zeit. Die ganze Zeit, die du da unten verbringst!« Ihre Lippe zittert und ihre Atemzüge haben etwas von einer Ertrinkenden. Sie glaubt, dass Vaughn all die vielen Stunden im Keller mit der Arbeit an einem Gegenmittel
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