Totentöchter - Die dritte Generation
dieses Augenblicks hindeuten würde. Bald werden wir uns nie wieder berühren. Wir werden nie wieder zusammen zu einer Party gehen, nie ein Kind miteinander haben oder zusammen unter denselben Qualen sterben.
Werden wir zur selben Zeit sterben, jeder an seinem Platz an der Küste? Ich hoffe, Cecily wird da sein, um seinen Kopf auf ihren Schoß zu betten. Ich hoffe, sie wird ihm vorlesen und nette Sachen zu ihm sagen. Ich hoffe, dass er dann nicht mehr an mich denkt und Frieden finden kann.
Ich hoffe, Vaughn ist nicht so herzlos, wie ich glaube, sondern äschert die Leiche seines Sohnes unangetastet ein, vollständig. Und ich hoffe, dass Linden im Orangenhain verstreut wird.
Was mich angeht, versuche ich, nicht so viele Gedanken auf meinen Tod zu verwenden. Ich weiß nur, dass ich meine letzten Jahre zu Hause verbringen möchte, in Manhattan, mit meinem Bruder, in dem Haus, das unsere Eltern uns hinterlassen haben. Und vielleicht mit Gabriel. Ich werde versuchen, ihm so viel über die Welt beizubringen, wie ich nur kann, damit er einen Job findet, vielleicht am Hafen. Dann hat er eine Beschäftigung, wenn ich tot bin.
»Mein Herz, was ist denn?«, sagt Linden, und ich merke, dass mir Tränen in den Augen stehen. Es ist so kalt, dass ich nicht weiß, wieso sie nicht gefroren sind.
»Nichts«, sage ich. »Ich dachte nur daran, wie wenig Zeit einem bleibt.«
Er sieht mich so an, wie er es macht, wenn er wissen will, was ich über seine Entwürfe denke. So, als wollte er sich kopfüber in meine Gedanken stürzen. Er will verstehen und verstanden werden.
Wie hätten wir wohl zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort zueinander gestanden?
Und dann wird mir klar, wie lächerlich das ist. Zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort wäre ich niemals entführt worden, um seine Braut zu werden. Und er würde nicht in dieser Villa gefangen gehalten werden. Er wäre ein berühmter Architekt und ich würde vielleicht in einem seiner Häuser wohnen, in einer echten Ehe mit Kindern, die ein langes, gutes Leben vor sich hätten.
Ich lache, versuche einen zuversichtlichen Eindruck zu machen und drücke seine Hand. »Ich dachte daran, wie wenig Zeit Leute in deinen wunderschönen Häusern verbringen werden.«
Er drückt seine Stirn an meine Schläfe und schließt die Augen. »Wenn das Wetter schöner wird, zeige ich dir ein paar davon«, sagt er. »Es ist schön zu sehen, welche Änderungen die Leute vornehmen, die Haustiere und Schaukeln und all die Lebenszeichen. Manchmal reicht das schon, um zu vergessen.«
»Das würde mir gefallen, Linden«, sage ich.
Danach reden wir nicht mehr. Er darf die Arme fest um mich schlingen. Nach einer Weile werden ihm Schnee und Kälte zu viel und er bringt mich zurück zu meinem Zimmer. Wir küssen uns und seine eiskalte Nase berührt meine ein allerletztes Mal.
»Gute Nacht, mein Herz«, sagt er.
»Leb wohl, mein Herz«, sage ich. Und das so beiläufig, so unschuldig, dass er keinen Verdacht schöpft. Die Fahrstuhltüren schließen sich zwischen uns und er ist für immer aus meiner Welt verschwunden.
Die Tür zu Cecilys Zimmer steht offen und ich sehe Cecily auf dem Schaukelstuhl sitzen. Ihr Nachthemd ist aufgeknöpft und sie bietet Bowen die nackte Brust, aber er zappelt und jammert. »Bitte, bitte, nimm sie«, schluchzt sie leise. Aber er will nicht. Vaughn hat sie angelogen, es gibt keine Amme. Ich habe gesehen, wie er Bowen die Flasche gegeben hat, und wenn ein Baby erst einmal den süßen Geschmack der Fertignahrung kennengelernt hat, will es nie wieder an die Brust zurück. Ich erinnere mich, dass meine Eltern mir das erzählt haben,
als sie im Labor gearbeitet haben. Aber Cecily hat keine Ahnung. Vaughn nimmt ihr langsam ihren Sohn weg und fängt an, ihn auf die gleiche Weise zu kontrollieren wie seinen eigenen. Vaughn will, dass Cecily denkt, ihr eigenes Kind würde sie nicht lieben.
Lange stehe ich im Flur und beobachte sie. Diese aufgeregte kleine Braut, die so hager und blass geworden ist. Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem sie sich vom Sprungbrett fallen ließ und wir durch die Tropen geschwommen sind und nach imaginären Seesternen gegriffen haben. Das ist meine beste Erinnerung an sie und es ist eine Illusion.
Nein, vielleicht ist es nicht die beste Erinnerung. Als ich im Bett liegen musste, hat sie mir die Lilien gebracht.
Ich weiß nicht, wie ich mich von ihr verabschieden soll. Schließlich gehe ich weg, so leise, wie ich gekommen bin, und überlasse sie
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