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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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zittert. »Wie kommst du denn darauf?«
    »Oh Rhine«, schluchzt sie. »Wenn du weglaufen wolltest, kannst du es nicht noch mal versuchen. Du wirst niemals rauskommen und er wird dir dein Leben hier zur Hölle machen.«
    »Ich habe nicht versucht, wegzulaufen«, sage ich.
    Sie schüttelt den Kopf. »Es kommt nur darauf an, was er denkt. Du verstehst nicht. Du verstehst nicht, wie er ist, wenn er seinen Willen nicht kriegt.«
    »Deidre.« Sanft ziehe ich sie zu mir heran. »Was versuchst du mir zu sagen?«
    Tränen laufen ihr übers Gesicht. Sie hat einen Schluckauf. »Lady Rose hat nie ein Baby haben wollen – nie. Sie und Hausprinzipal Vaughn haben sich immerzu gestritten. Sie glaubte nicht, dass er das Gegenmittel finden würde, und sie wollte nicht, dass noch ein Kind nur zum Sterben geboren wird. Er nannte sie eine Naturalistin. Ich habe gehört, wie sie sich angeschrien haben. Einmal musste ich mich im Schrank verstecken, als ich ihre Wäsche weggeräumt habe, solche Angst hatte ich, zwischen die beiden zu geraten.«
    Sie setzt sich auf meine Bettkante und wischt sich die Tränen aus den Augen, aber es kommen neue nach.
    »Und als sie schwanger geworden ist, obwohl sie das nicht geplant hatte, war sie so enthusiastisch. Sie hat mich gebeten, ihr das Stricken beizubringen, und sie hat eine Decke für die Wiege gestrickt.« Sie lächelt bei der Erinnerung daran, aber dieses Lächeln verschwindet
schnell wieder. »Als die Wehen kamen, war Linden nicht da, er war auf einer Messe. Ihre Schmerzen waren so extrem, dass Hausprinzipal Vaughn sie stark betäubt hat. Als sie ein paar Stunden später wieder zu sich kam und er ihr mitteilte, dass das kleine Mädchen es nicht geschafft habe, glaubte sie ihm nicht. Sie sagte, sie habe das Baby weinen hören. Er meinte, sie wäre im Delirium gewesen, das Baby sei tot geboren worden.«
    Plötzlich wirkt das Zimmer düsterer, kälter.
    Deidre sagt: »Aber ich habe die Räucherstäbchen im Flur ausgetauscht und ich habe es auch weinen hören. Hausprinzipal Vaughn sagte zu Lady Rose: ›Du willst, dass die menschliche Rasse stirbt, und es sieht ganz so aus, als sei dein Wunsch in Erfüllung gegangen.‹«
    Ich kann bei diesen Worten Vaughns Stimme hören, und es bricht mir das Herz, als wären die Worte an mich gerichtet worden. Ich sehe Rose vor mir, lebendig und beraubt. Wie sie ihren Bauch berührt, in dem sich Stunden zuvor noch ein Kind bewegt hat. Ich wünschte, sie hätte mir diese Geschichte erzählt, als sie noch am Leben war, denn jetzt hab ich das überwältigende Verlangen, sie in die Arme zu schließen und ihr zu sagen, wie schrecklich leid es mir tut, dass so etwas geschehen ist. Ich glaube, ihr Hass ihm gegenüber war genauso stark wie meiner. Vielleicht hat sie ihn überhaupt nur aus Liebe zu Linden ertragen. Und vielleicht hatte sie gehofft, dass ich lernen würde, unseren Ehemann zu lieben, damit ich auch lerne, Vaughn zu ertragen.
    »Oh, es hat sie zerstört. Danach war sie nie mehr dieselbe«, fährt Deidre fort. »Sie hatte ihre eigene Aufwärterin, Lydia. Aber es war zu viel für Rose, ein junges Mädchen
um sich zu haben, das sie an die Tochter erinnerte, die sie gehabt hätte. Schließlich überredete sie Hauswalter Linden, Lydia zu verkaufen. Nicht mal Elle oder mich konnte sie ansehen.«
    »Weiß noch irgendjemand davon?«, frage ich.
    »Nein. Alle glauben, das Baby wäre eine Totgeburt gewesen. Oder wenn sie es nicht tun, behalten sie es für sich. Bitte, erzähl es nicht weiter.«
    »Natürlich nicht«, sage ich und reiche ihr ein Taschentuch von meinem Nachttisch. »Das bleibt unter uns.«
    Sie tupft ihre Nase ab, faltet das Taschentuch und steckt es in ihre Schürzentasche. »Ich habe das noch nie jemandem erzählt.«
    Trotz der Tränen kann ich sehen, dass ihr eine Last von den Schultern genommen ist. Für so ein junges Mädchen ist das ein schreckliches Geheimnis. An diesem Ort – nein, in dieser Welt – ist es unmöglich, dass ein Kind einfach Kind sein darf. Ich lege meinen Arm um sie und sie gestattet sich einen ganz untypischen Augenblick der Schwäche, schlingt die Arme um mich und lässt den Kopf an meine Brust sinken.
    »Er hat bei allem das letzte Wort. Egal was er von dir verlangt, bitte, mach es, zu deinem eigenen Besten.«
    »In Ordnung«, sage ich. Aber das ist gelogen. Diese Geschichte hat mein Bedürfnis, zu fliehen, nur bestärkt – mein Bedürfnis, zu sein wie der Fluss in Lindens Atlas. Denn hier ist es noch viel

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