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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ein kleiner Junge. Seine Nase und die Wangen sind knallrot, seine dicken Locken quellen zottelig unter der Wollmütze hervor. Er ist das Kind auf Roses Foto. »Ich glaube, das sollten wir ändern«, sagt er. »Ich habe mit meinem Vater geredet und … nun, hier!« Wir bleiben stehen, er langt in die Tasche seines Wollmantels und holt ein kleines, farbenfroh eingewickeltes Päckchen heraus. »Die Sonnenwende ist erst in einer Woche, aber ich denke, das hier verdienst du schon jetzt.«
    Ich ziehe meine Handschuhe aus, damit ich die wunderschöne
Schleife aufziehen kann, und ich beeile mich, weil meine Finger bereits taub werden. Unter dem ganzen Papier kommt eine kleine Schachtel zum Vorschein. Ich hebe den Deckel an und rechne mit irgendetwas Unpraktischem wie Diamanten oder Gold, aber es ist etwas anderes. Eine Plastikkarte an einer silbernen Halskette. Alle Diener tragen so eine um den Hals.
    Es ist eine Schlüsselkarte für die Fahrstühle.
    Es wird wahr. Ich werde Erste Ehefrau! Und man schenkt mir das entsprechende Vertrauen. Ich kann nichts für den Quietscher, der mir herausrutscht. Ich halte mir den Mund zu und die Aufregung ist mir an den Augen abzulesen. Freiheit. Sie wird mir einfach in einer kleinen Schachtel überreicht. »Linden! «, sage ich.
    »Also, die bringt dich nicht auf jede Etage. Damit hast du Zugang zum Erdgeschoss, sodass du nach draußen gehen kannst und … « Ich werfe mich in seine Arme. Er hört auf zu reden und atmet mit der Nase in meinem Haar tief ein.
    »Danke«, sage ich, obwohl er keine Vorstellung davon hat, was mir das bedeutet, und es auch nie erahnen wird.
    »Gefällt es dir?«, flüstert er ein wenig verblüfft.
    »Natürlich«, sage ich und rücke von ihm ab.
    Er lächelt mich auf diese kleinjungenhafte Weise an, die ihn so von seinem Vater unterscheidet. Die Kälte macht seine Lippen besonders rot. Ich glaube, er sieht aus wie die Art Porträt, die Deidres Vater gemalt hätte. So weich und schön und lieb. Er nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und zum zweiten Mal in unserer zehnmonatigen Ehe küssen wir uns. Und zum ersten Mal weiche ich nicht zurück.

    Wieder auf der Frauenetage, laufe ich Jennas Namen rufend den Flur entlang, die Schlüsselkarte baumelt um meinen Hals. Ganz schwach spüre ich noch Lindens Geschmack auf meiner Zungenspitze, der sich mit dem Weihraucharoma im Flur beißt, das meine Sinne überflutet. Es ist, als würde ich von einer Reise ins All nach Hause zurückkehren.
    Jenna kann ich nicht finden und Cecily schläft. Ich kann sie durch die geschlossene Schlafzimmertür hindurch schnarchen hören. Ich klingele nach Deidre, die mir sagt, dass Adair auch nichts von Jenna gehört hat. Ich soll mir aber keine Sorgen machen, sie kann ja nicht weit weg sein. Wie wahr, das kann sie nicht. Also warte ich in der Bibliothek, suche nach weiteren Informationen über den Fluss Rhine oder Rowanbeeren, aber natürlich finde ich nichts. Stattdessen lese ich etwas über den Lebenszyklus der Kolibris, bis Linden mich zum Abendessen ruft.
    Cecily, auf der acht Monate Schwangerschaft lasten, lehnt sich im Fahrstuhl an mich und klagt über Rückenschmerzen. Der Diener bietet an, ihr das Essen auf einem Tablett ans Bett zu bringen, aber sie sagt: »Red kein dummes Zeug. Ich esse mit meinem Ehemann zu Abend wie alle anderen.«
    Als wir das Esszimmer betreten, sitzt Jenna schon mit Vaughn am Tisch. Sie sieht blass aus und hebt kaum den Blick, als Cecily und ich dem Alter gemäß neben ihr unsere Plätze einnehmen. Jenna ist letzten Monat in aller Stille neunzehn geworden. Sie hat es mir erzählt. Noch ein Jahr. Und ich habe sie gebeten, mit mir wegzulaufen, sobald ich einen Plan ausgearbeitet habe, doch sie
hat abgelehnt. Ihr macht es auch nichts aus, wenn Vaughn an ihrer Leiche herumexperimentiert. Wenn es so weit ist, wird sie weit weg sein, an einem ganz anderen Ort – bei der Familie, die sie verloren hat.
    Jetzt sitze ich neben ihr und überlege, wessen Asche Linden wohl zum Verstreuen bekommen wird, wenn Jenna weg ist. Ich habe mir bereits das Versprechen gegeben, zu dieser Beerdigung nicht mehr hier zu sein.
    Linden gesellt sich zu uns und während der Mahlzeit ist die Stimmung ziemlich gedrückt. Cecily fühlt sich nicht wohl. Sie muss ganz schön neben der Spur sein, denn sie hat sich nicht mal darüber beschwert, dass ich eine Schlüsselkarte um den Hals trage. Stattdessen rutscht sie voll Unbehagen auf dem Stuhl herum, bis einer der Diener gebeten wird, ihr

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