Totentrickser: Roman (German Edition)
den Deckel.
»Ja, das ist Marie-Luisa«, flüsterte Nenia dicht hinter ihm. »Früher hatte sie richtige Gedärme, aber die sind beim Ausweiden verloren gegangen.«
»Eine Puppe!«
Bolgur lachte vor Erleichterung und hob die bejammernswert zugerichtete Folter-Übungspuppe aus dem Koffer.
»Marie-Luisa ist eine Puppe!« Er drehte sich um. »Und ich dachte schon … Oh, Vorsicht mit dem Messer, Kleines, bevor …«
Als die anderen zurückkehrten, erwartete sie eine recht idyllisch wirkende Szene.
Nenia saß auf einem Baumstumpf und kämmte Marie-Luisas spärliche Haare, wobei sie ein kleines Liedchen vor sich hinsummte, dessen Text hier aus Gründen des Jugendschutzes nicht wiedergegeben werden soll.
Bolgur hockte neben dem Kessel und schnitt Gemüse mit Broms Streitaxt zu.
»Seid ihr gut miteinander ausgekommen?«, fragte Selphyne.
»Ja«, grollte Bolgur, »sie ist ganz brav gewesen.«
»Bin ich überhaupt nicht!«, protestierte Nenia, ihr Lied unterbrechend. »Du lügst!«
Brom lud seine Armvoll Brennholz beim Kessel ab.
»Meine gute Axt – um Gemüse zu schneiden!«, beschwerte er sich. »Wenn Hjalko Klingenschmitt erleben müsste, dass sein Meisterwerk so entweiht wird, würde er sich im Grab umdrehen! Außerdem ist das unhygienisch.«
»Seit wann legst du denn Wert auf Hygiene?«, versetzte Selphyne.
»Hygiene genießt höchste Priorität im Leben eines jeden Zwergenkriegers!«, zitierte Brom unwissentlich das nicht sonderlich populäre Werk Mit Seife und Streitaxt: Wie man einen sauberen Krieg führt des ebenso exzentrischen wie erfolglosen Strategen Durias Wohlgemuth.
»Hahaha!«
Die Gnomenmagierin lachte sarkastisch.
»Das ist nicht komisch! Wenn ich jetzt jemanden mit der Axt verwunde, kann er sich eine schlimme Infektion wegholen. Eine … eine … Gemüseinfektion!«
»Wieso nimmst du eigentlich nicht das Messer«, wandte sich Falfnin an Bolgur. »Ist doch viel praktischer.«
»Das geht nicht«, brummte der Oger verlegen.
»Und wieso nicht?«
»Deswegen.«
Bolgur drehte sich zur Seite und ließ das Messer sehen, das tief in seinem Oberschenkel steckte.
»Um Himmels willen!«, rief Selphyne. »Wie ist das denn passiert?«
»Es war ein Unfall«, grummelte Bolgur. »Ich bin hingefallen, und dabei hab ich mir das Messer ins Bein gehauen.«
»Du lügst schon wieder!«, rief Nenia zornig und stampfte mit dem Fuß auf. »Ich hab das gemacht, und ich bin überhaupt nicht brav gewesen!«
»Warum hast du es nicht rausgezogen?«, fragte Brom.
»Ich glaub, es steckt in einer Hauptschlagader«, antwortete der Oger. »Mein Cousin Lugbor sagt, man darf ein Messer nicht rausziehen, wenn eine Hauptschlagader verletzt ist.«
»Irgendwann musst du uns mal deiner Familie vorstellen«, meinte Selphyne.
»Ich hole mein Notfallset«, sagte Falfnin.
Kurz darauf war Bolgurs Bein sachgemäß verarztet, eine appetitanregend duftende Suppe kochte in dem Kessel vor sich hin und Nenia war von Selphyne eine kurze Strafpredigt gehalten worden, auf die die Totenbeschwörertochter Folgendes entgegnet hatte: »……………………………!« [ Um sensibleren Gemütern eine Ohnmacht zu ersparen, musste an dieser Stelle die Zensur tätig werden. ]
Die Hauptstadt Irgendwind des gleichnamigen Fürstentums ist die wahnsinnigste Metropole der Welt, und das schlägt sich auch in der Architektur nieder.
Für die Baumeister von Irgendwind spielen Statik und ein solides Fundament nur eine untergeordnete Rolle.
Wichtiger sind ihnen möglichst skurrile und absonderliche Einfälle, mit denen sie ihre genialische Individualität zum Ausdruck bringen und ihre avantgardistische Radikalität demonstrieren.
Windschiefe Spiraltürmchen, papierdünne Mauern, einsturzoptimierte Säulen mit Sollbruchstellen: Der Immobilienmarkt von Irgendwind ist (so widersprüchlich das klingen mag) ständig in Bewegung.
Nicht weniger verrückt als die Bauwerke sind die Bewohner der Stadt.
Aus Kellern klingt irres Gelächter, verwahrloste Propheten streunen sinnloses Zeug brabbelnd durch die Straßen, und Größenwahnsinnige, die sich für Halbgötter im Exil halten, stolzieren herrisch auf und ab.
Naturgemäß leben in Irgendwind auch zahllose Künstler, die ja bekanntermaßen stets auf einem schmalen Grad zwischen Normalität und Irrsinn wandeln.
Verkrachte Komponisten, die seit mehr als fünfzig Jahren an ihrer ersten Posaunensonate komponieren und bei ihrem Tod schließlich ein Gesamtwerk von siebeneinhalb fraglos perfekten
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