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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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entgegnete er stattdessen, bedankte sich förmlich und verließ zusammen mit Heinrich Andresen das Zimmer.
    «Das war böse», meinte Andresen, nachdem sie den Flur der Sitte hinter sich gelassen hatten. «Schott wird es mir aufs Brot schmieren, irgendwann.»
    «Er hat angefangen. Ich konnte es mir nicht verkneifen.»
    «Und er wird’s überleben.» Andresen lachte. «Ich habe Neuigkeiten, was Ihren Künkel betrifft.»
    Sören blieb stehen. Damit hatte er nicht gerechnet. «Spannen Sie mich nicht auf die Folter.»
    «Adolf Künkel. Wir haben kein Photo und auch keine Akte. Aber sein Name taucht im Zusammenhang mit zwei Anzeigen wegen unerlaubter Buchmacherei auf. Mehrmals war er in irgendwelche dubiose Wetten beim Horner Derby verwickelt. Wir prüfen das noch. Er scheint aber nicht in der Stadt zu leben, jedenfalls haben wir keine Adresse. Vielleicht kommt er aus der Wandsbeker Umgebung. Ich habe unsere Vigilanten schon auf ihn angesetzt. Am kommenden Sonntag findet ja das große Hamburger Handicap am Horner Moor statt. Ein solches Ereignis lässt sich kein Buchmacher entgehen. Vielleicht haben wir ja Glück.»

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 9
    I m Café Liebmann orderte Sören wie gewöhnlich ein Kännchen Kaffee und kaltes Zitronenwasser. Senator Mumssen wurde erst gegen Mittag in der Senatskanzlei erwartet, bis dahin blieb noch etwas Zeit. Er wollte sich einen Überblick über die Immobilienangebote in der Stadt verschaffen, um so gut wie möglich auf das Gespräch vorbereitet zu sein. Der Inhaber des Cafés ließ es sich nicht nehmen, die Getränke persönlich an den Tisch zu bringen. Dann schlug er das Fremdenblatt auf.
    Die Berichte über das Scheitern der preußischen Wahlrechtsreform beherrschten immer noch die ersten Seiten. Sören überflog die Meldungen, bis ihm der Name Frieda Radel ins Auge fiel. Die Überschrift ihres Artikels war wie gewohnt im Plural verfasst:
Warum
fordern
wir
das
Frauenstimmrecht
?
Sören ignorierte die Provokation und blätterte weiter. Im Kulturteil gab es einen längeren Aufsatz über Esperanto, und Sören musste unweigerlich an seine Tochter denken.
    Sie war so verändert, seit sie von der Klassenfahrt zurückgekehrt war, so merkwürdig introvertiert und schweigsam. Alles hatten sie ihr aus der Nase ziehen müssen, dabei waren sie auf den Bericht von ihrer Reise wirklich gespannt gewesen. Schließlich hatte Ilka dann doch von ihren Wanderungen und naturkundlichen Exkursionen rund um das Haus Margarethenhöhe am Pönitzer See berichtet, kurz war sie sogar fast ins Schwärmen gekommen, als sie von einem Ostseetörn auf einem Kutter erzählte, der eigentlich gar nicht auf dem Programm gestanden habe. Mehr hatte sie dazu nicht sagen wollen.
    Vielleicht war es immer noch das schlechte Gewissen, das sie eigentlich gar nicht zu haben brauchte. Agnes hatte beim Saubermachen unter Ilkas Bett Marcel Prévosts «Cousine Laura» entdeckt und das Buch, nachdem sie Ilka zur Rede gestellt hatte, Mathilda übergeben. Tilda war daraufhin fast die Hutschnur geplatzt, allerdings nicht wegen des anstößigen Buchs, dessen Inhalt sie überhaupt nicht kannte, das aber nach Agnes’ Auffassung nicht in die Hände einer Tochter aus gutem Hause gehörte, sondern weil sie es unmöglich fand, wie sich Agnes in ihrem Haus als Gouvernante und Anstandsdame aufspielte. In barschem Ton hatte sie Agnes zu verstehen gegeben, sie möge sich zukünftig gefälligst nicht mehr in die Erziehung ihrer Kinder einmischen, sonst könne sie sich eine andere Stelle suchen. Sören hatte das Gespräch zufällig mit angehört und war fast erschrocken, wie resolut sich Tilda verhalten hatte. Agnes hatte stundenlang geweint, sie hatte es doch nur gut gemeint. Wirklich verstanden hatte sie Tildas Einspruch nicht.
    Seither war Sören um Schadensbegrenzung bemüht. Er hatte mit Ilka sprechen wollen, um ihr zu sagen, dass sie nichts Schlimmes getan habe, aber Tilda war der Meinung, diese Aufgabe würde sie lieber selber übernehmen. Gestern Abend war sie lange auf Ilkas Zimmer geblieben. Erst um zehn Uhr war sie wieder ins Wohnzimmer heruntergekommen, ein spitzbübisches Lächeln auf den Lippen. Das Buch spielte überhaupt keine Rolle. Ilka sei wohl etwas verliebt, hatte sie gesagt.
    Im Haus Margarethenhöhe war noch eine andere Gruppe Heranwachsender untergebracht gewesen, und zwar eine Schulklasse aus Schweden – eine Jungenklasse. Frau Hornbostel, Ilkas Lehrerin, die ein Faible für Fremdsprachen besaß und seit einem

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