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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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halben Jahr in der Klasse auch Esperanto unterrichtete, war der Meinung, man könne die Sprache nun gleich zur Völkerverständigung nutzen, da der schwedische Lehrer seine Jungen ebenfalls an die neue Sprache, die so leicht zu erlernen war, herangeführt hatte. So hatte man einige Exkursionen zusammengelegt, unter anderem den Segeltörn.
    Tilda hatte beim Erzählen ständig kichern müssen. Ilka hatte also einen Jungen kennengelernt. War das schlimm? Nein, es wäre wohl nichts passiert, hatte Tilda gemeint, aber sehr wahrscheinlich würde Ilka in Zukunft einige Briefe ins Ausland schicken. Einen Namen habe sie nicht erfahren, aber das sei ja auch unwichtig. Spätestens wenn der erste Brief auf Reisen ginge, würden sie den Namen kennen. Nach dem Gutenachtkuss hatte Ilka ihre Mutter dann noch gefragt, ob es etwas Schlimmes sei, wenn man mit einem Mann ganz nackt baden würde. Tilda hatte vor Lachen fast Tränen in den Augen gehabt, als sie es Sören erzählte. Sie hatte ihre Tochter auch in diesem Punkt beruhigt und so erfahren, dass die schwedischen Jungens wohl heimlich beobachtet hatten, wie ihr Lehrer nachts im See gebadet hatte. Nackt – mit Frau Hornbostel.
    Die Geschichte war zu köstlich. Sören musste immer noch grinsen, wenn er daran dachte. Er blätterte weiter, bis er zu den Immobilienanzeigen kam. Die größten Anzeigen, auffällig mit einem Schmuckrahmen versehen, waren von der Hamburger Finanzdeputation geschaltet:
Verkauf
von
Staatsgrund
stand dort jeweils als Überschrift. Fast alle Annoncen boten Grundstücke nahe der neuen Mönckebergstraße an, in zweiter Reihe liegend, dort, wo die Niederlegungen der ehemaligen Gänge keine präsentablen Großbauten erlaubten. Es waren Grundstücke, die nördlich der Steinstraße im planierten Nirgendwo zwischen Schweinemarkt, Barkhof und Jacobikirchhof lagen.
    Grund und Boden in den Stadterweiterungsgebieten oder entlang der zukünftigen Ringbahn wurde von der Finanzdeputation nicht inseriert. Dafür von diversen Maklern. Sören fiel eine besonders große Anzeige zu Grundstücksversteigerungen an der Isestraße auf. Wie er wusste, waren dort nur noch wenige Flächen unbebaut. In der Anzeige bewarb man den Standort ausdrücklich mit dem Hinweis auf die Nähe zur zukünftigen Haltestelle der Vorortbahn. Die Versteigerung fand in fünf Tagen im Assekuranz-Saal des Abonnenten-Instituts der Börsenhalle statt. Das klang nach Grundstücken, die im öffentlichen Besitz waren oder zumindest von städtischen Institutionen verwaltet wurden, und auch der Hinweis, dass alle bekannten Hausmakler Auskunft über die Verkaufsbedingungen erteilen würden, änderte nichts an dieser Vermutung. Die restlichen Anzeigen, die deutlich die Mehrheit darstellten, betrafen Revenue-Grundstücke im gesamten Stadtgebiet, Erlös- und Gewinngrundstücke, also vermietete Immobilien, sowie ausgewiesene Spekulations-Terrains. Die Grundstücke und Immobilien in Eimsbüttel, die er besichtigt hatte, tauchten in keiner Annonce auf.
    Sören studierte die Grundstückspreise und machte sich entsprechende Notizen. Die Untergrenze bei bebauten Grundstücken im inneren Stadtgebiet lag für 718 Quadratmeter Bodenfläche bei 119000 Mark, allerdings war die Lage am Hamburger Berg nicht sonderlich gewinnversprechend. Er kannte den Zustand der dortigen Gebäude. Etwas weiter nördlich wurde ein unvermietetes Doppelhaus an der Annenstraße angeboten. Als Preisvorstellung für das nur 485 Quadratmeter große Grundstück der Hausnummern 13 und 14 wurden 84100 Mark aufgerufen. In dieser Größenordnung ging es weiter. Ein unbebautes Baugrundstück in Harvestehude, das allerdings für dortige Verhältnisse mit 305 Quadratmetern klein bemessen war, wurde für 89000 Mark inseriert, ein weiteres mit einer Größe von 587 Quadratmetern für 137000 Mark. Die Vororte waren günstiger. In Barmbeck kosteten 4700 Quadratmeter Bauland nur 295000 Mark.
    In Gedanken war Sören bereits bei dem Erlös, den sie einmal für das Haus an der Feldbrunnenstraße erzielen würden. Das Grundstück hatte über 500 Quadratmeter, lag in allerbester Lage, und das Haus war gerade mal zwanzig Jahre alt und mit allem erdenklichen Komfort ausgestattet. Gasanschluss, elektrischer Strom, ein Anschluss zum Stadttelephon und eine Remise, die groß genug für das Unterstellen eines Automobils war, wenn sie auch nicht für einen Double-Phaeton reichte. Nach allem, was er gelesen hatte, sollten sie mindestens 350000 Mark dafür erhalten

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