Totenwall
können. Das reichte bestimmt für einen großzügigen Neubau im Norden der Stadt. Sören merkte, wie er abschweifte, schenkte sich eine letzte Tasse Kaffee ein, zahlte und machte sich auf den Weg zum Rathaus.
Senator Mumssen war erstaunt über den unangekündigten Besuch, jedoch freundlich wie immer. Nachdem er gehört hatte, worum es Sören ging, bat er seinen Kollegen Senator Holthusen zu der Unterredung dazu, weil er der ehemaligen Kommission für die Grundstücksankäufe angehört hatte und folglich besser Auskunft geben konnte.
«Die Kommission wurde auf Initiative von Senator Burchardt ins Leben gerufen, der damals das Bürgermeisteramt innehatte», erklärte Holthusen. «Genau zu dem Zeitpunkt, als der Streckenverlauf der Ringbahn feststand. Es war eine spannende Angelegenheit, denn wir wollten ja so wenig Aufsehen wie möglich erregen, damit uns keine Spekulanten in die Quere kamen. Also musste alles heimlich geschehen. Wir haben damals Makler eingeschaltet, weil uns das unauffälliger erschien. Im Nachhinein betrachtet, muss ich sagen, dass die Kommission vortreffliche Arbeit geleistet hat. Innerhalb eines Jahres konnten wir über achtzig Prozent des Bedarfs über den Ankauf regeln.»
«Was geschah mit den verbleibenden zwanzig Prozent?»
«Einige Besitzer haben sich bis zuletzt gesträubt, viele haben versucht, einen besseren Preis zu erhalten, und einigen ist das wohl auch gelungen. Andere haben zu lange gezögert. Sie wurden schließlich enteignet, da uns nur ein begrenzter zeitlicher Verhandlungsrahmen zur Verfügung stand.»
«Waren die Entschädigungszahlungen höher als die Summen, die man für einen Ankauf bereitgestellt hätte?»
Holthusen wiegte zögerlich den Kopf. «Im Allgemeinen nicht, aber es gab Fälle, da mussten aufgrund wirtschaftlicher Gegebenheiten sehr hohe Entschädigungen gezahlt werden. Bei Hotels und größeren Gewerbebetrieben beispielsweise, aber davon gab es Gott sei Dank nur wenige. Ich erinnere mich an zwei Fälle, wo gerade mit dem Bau von Immobilien begonnen worden war. Dort sind tatsächlich sehr hohe Summen geflossen, aber im Regelfall wurde einheitlich nach Grundstücksfläche entschädigt, wir hatten die Gebiete je nach Nähe zur Stadtmitte in drei Zonen aufgeteilt.»
«Der Zustand der Gebäude spielte keine Rolle?», fragte Sören.
«Nein. Um die Sache zu vereinfachen, wurde schon bei den Ankäufen der durchschnittliche Marktpreis durch Mittelung erhoben. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Grundstücke bebaut waren oder nicht. Wir reden hier ja nicht von Wiesen und Feldern in Hektargröße, sondern von Grundstücken, die eine durchschnittliche Größe von umgerechnet etwa 300 Quadratmetern hatten.»
«Interessant. Warum gibt es keine entsprechenden Vermerke in den Grundbüchern?»
Holthusen lächelte. «Weil wir nicht wollten, dass bekannt wird, dass der Staat im großen Stil Grundstücke aufkauft und was er bereit ist, dafür auszugeben. Es gibt einen eigenen Aktenbestand dazu …»
«Das bedeutet, die Geheimniskrämerei ist noch nicht beendet?»
«Doch. Die Kommission für die Ankäufe wurde im letzten Jahr aufgelöst. Wir konnten dem Betreiberkonsortium alle benötigten Flächen zur Verfügung stellen. Was die weiteren zukünftigen Stichstrecken betrifft, müssen Grundstücksankäufe im Einzelnen ausgehandelt werden. Wir gehen aber davon aus, dass dafür genügend Ressourcen zur Verfügung stehen – und falls nicht, wird eben wieder enteignet. Dennoch braucht auch jetzt niemand zu erfahren, in welcher Größenordnung entschädigt wurde. Die betreffenden Grundbücher tragen einen internen Vermerk. Damit ist nicht einmal ersichtlich, dass alle Gebäude auf den Grundstücken niedergelegt wurden.»
«Alle Gebäude wurden abgerissen?», fragte Sören nach.
Holthusen nickte. «Etwas anderes macht ja keinen Sinn. Warum fragen Sie das alles?»
«Weil Ihre Rechnung anscheinend nicht in allen Fällen aufgegangen ist. Jemand muss sein internes Wissen genutzt haben, um daran zu verdienen. Ich habe einige Grundbücher in Unkenntnis von dem, was Sie gerade geschildert haben, genauestens studiert, und mir ist aufgefallen, dass kurz vor der Niederlegung der Gebäude – also noch vor dem Erwerb oder der Enteignung durch den Staat – ein Wechsel der Eigentumsverhältnisse beurkundet ist. Wurde das nicht geprüft?»
«Das entzieht sich meiner Kenntnis», erwiderte Holthusen. «Aber wenn es tatsächlich so ist, dann wäre das ein starkes Stück.»
«In der
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