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Totenwall

Titel: Totenwall
Autoren: Boris Meyn
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umworben – hatte sie ihm Modell gestanden?
    «Ja, Fräulein Kronau», bestätigte Lippstedt auf Sörens Frage.
    Sören durchzuckte es. Er dachte auch an die Titulatur und was ihm Tilda erzählt hatte. Was sollte an dem Begriff Fräulein schlecht sein? «Wann war sie hier?», fragte er.
    Der Künstler schüttelte den Kopf. «Sie wollte mir nicht sitzen. Ich habe es aus dem Gedächtnis gemalt.»
    «Aber bemüht haben Sie sich um sie?»
    «Das kann ich nicht abstreiten. Eine faszinierende Frau mit einem faszinierenden Körper.»
    «Kommen Sie öfter nach Duvenstedt zu den Sonnenanbetern, um nach Modellen zu suchen?»
    «Man könnte es denken, aber es ist nicht so. Natürlich, wenn mir jemand begegnet … Aber ich suche nicht. Duvenstedt ist Amüsement. Sonst wäre ich dort sicher nicht in Begleitung von Gerda und Heidi aufgetaucht.»
    «Was ist genau mit ihr geschehen?», fragte Gerda und schnäuzte sich.
    «Das erzähle ich Ihnen besser nicht», meinte Andresen. «Hat sie Ihnen gegenüber gesagt, was sie vorhatte? Irgendwelche Liebschaften außer diesem Bildhauer? Eine Verabredung vielleicht?»
    Lippstedt blickte Gerda fragend an, als wenn er sie um Erlaubnis bitten müsste. Sie reagierte nicht, blickte stur auf den Boden. Schließlich nickte er. «Ja. Der Photograph. Er hat sie nach dem Gruppenphoto wohl gefragt, ob sie ihm für künstlerische Aufnahmen Modell stehen würde. Den Rest des Abends ist sie nicht mehr von seiner Seite gewichen.»
    «Er hat sie regelrecht becirct», erklärte Gerda Strack. «Auf so etwas war Heidi immer ganz versessen.»
    «Der Name des Photographen?»
    Lippstedt zuckte mit den Schultern. «Keine Ahnung. Wirklich.»
    «Aber er ist Ihnen bekannt?»
    «Er ist, glaube ich, immer dort. Zumindest die Male, als ich dort war. Er kommt immer mit seiner Frau. Am besten fragen Sie Ortmanus. Das ist das Faktotum der Sonnenanbeter. Der wird Ihnen den Namen des Photographen sagen können.»
     
    Aber auch Ortmanus kannte den Namen des Photographen nicht. Sie hatten ihm noch vor Tagesanbruch einen Besuch in seiner Hütte abgestattet. An Schlaf war so oder so nicht zu denken gewesen, daher hatten sie sich gleich auf den Weg nach Duvenstedt gemacht, nachdem sie Verstärkung angefordert hatten. In Lemsahl waren zwei Wachtmeister der Berittenen zu ihnen gestoßen und hatten sie bis zum Duvenstedter Gelände eskortiert. Unausgeschlafene Männer, deren preußische Dienstpflicht ihre Müdigkeit nur halbwegs verbergen konnte. Kompetenzstreitigkeiten hatte es keine gegeben, auch wenn die Hamburger Polizei auf preußischem Territorium keine Vollmachten besaß. Die Zuständigkeit war so oder so unklar. Eigentlich hätte das Amt Tangstedt informiert werden müssen, andererseits hatte der Verein der Sonnenanbeter das Gelände von einer Familie Jauch gepachtet, die Großteile des Duvenstedter Brooks zur Jagd nutzte. Der Verein selbst war in Hamburg eingetragen. Wie auch immer: Die nächste criminale Division im Stormarnischen war weit weg, also leitete Polizeihauptmann Andresen den Einsatz.
    Außer Ortmanus trafen sie noch vier weitere Personen auf dem Terrain an, unter ihnen das Ehepaar Schuldwasser und Mauro Bizini, die Sören vor zwei Wochen kennengelernt hatte. Der Vierte war ein Freund von Bizini, der bei ihm in seiner Unterkunft wohnte. Bis auf Ortmanus, der unbeteiligt wirkte, als sei er in einer anderen Welt, erinnerten sich noch alle an die etwas überdrehte Heidi Sello, wenn auch mehr an ihre Körperbemalung als an ihren Namen. Die Nachricht von ihrem Tod rief tiefe Bestürzung hervor. Es handelte sich um ehrliche Fassungslosigkeit, wie Sören es deutete.
    Sie vermieden es zu erwähnen, dass man den Mörder unter den Besuchern vermutete. Die Frage nach dem Photographen begründeten sie so, dass er die Tote abgelichtet hatte und man eine Photographie benötigen würde. Aber der Name des Lichtbildners war auch ihnen unbekannt. Bizini wusste nur, dass er aus Hamburg kam und fast jedes Wochenende Aufnahmen machen würde, von denen man Abzüge bestellen konnte. Am letzten Sonntag hätte er die Positive vom Wochenende zuvor dabeigehabt und sie für eine Mark das Stück angeboten. Den Verkaufsstand machte seine Frau oder Freundin. Dunkle Haare, dunkle Haut. Nett anzusehen. Mehr wusste man nicht zu berichten.
    «Vielleicht hat er den Namen seines Ateliers auf die Rückseite gestempelt. Habt ihr ein Bild gekauft?»
    Die Schuldwassers schüttelten beide die Köpfe. Sie wohnten eigentlich in Lübeck und kamen nur
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