Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Totenwall

Titel: Totenwall
Autoren: Boris Meyn
Vom Netzwerk:
Paravent, ein Waschzuber. Auf dem Tisch Farbtuben und gläserne Gefäße mit Pigmenten, Pinsel, Stifte. Auf einer Plankommode Papiere unterschiedlicher Größe. Leere und bemalte Leinwände, teils auf Rahmen gespannt, teils abgehängt. Mit Kohle skizzierte Körper auf Pergament, sich rekelnde Frauenkörper, nackt. Dazu wenige Stillleben. Vor allem nackte Haut.
    Ein Vorhang raschelte.
    Holländer war schon zur Stelle. Den Revolver in der einen Hand, riss er den Vorhang beiseite. Dahinter kam die Schlafstätte des Künstlers zum Vorschein. Ein weites Bett mit leinenen Laken. Davor eine erschrockene, verschüchterte Gerda Strack, die versuchte, ihre Blöße mit den Händen zu verdecken.
    «Sieh an, sieh an.» Andresen betrachtete die Nackte, deren Anblick Sören bereits kannte. «Schon volljährig, die Kleine?», fragte er in Richtung Lippstedt.
    Lippstedt nickte. «Eins meiner Modelle. Genau wie Heidi.»
    «Waren Sie mit der Sello auch intim?» Gerda hatte sich inzwischen ein Hemd übergestreift. Sie erschien immer noch mehr nackt als angezogen zu sein. Holländers Blick wirkte lüstern und amüsiert zugleich. Nur Augusts Augen hafteten allein auf Lippstedt.
    «Wann haben Sie Heidi Sello das letzte Mal gesehen?», fragte Andresen.
    Ludwig Lippstedt schaute den Polizeihauptmann entgeistert an. «Was ist mit Heidi?»
    «Ist ihr etwas passiert?», echote Gerda.
    «Wie heißt die junge Dame?»
    «Gerda. Gerda Strack», antwortete sie selbst. «Was ist mit Heidi?»
    «Beantworten Sie zuerst meine Frage», wiederholte Andresen an Lippstedt gerichtet. «Wann haben Sie Heidi Sello das letzte Mal gesehen?»
    «Wir haben uns vor zwei Wochen das letzte Mal gesehen.» Ludwig Lippstedt zeigte auf Sören. «Sie waren doch auch bei den Sonnenanbetern in Duvenstedt. Ich dachte, Sie sind Advokat?»
    «Das bin ich auch», antwortete Sören und trat endlich näher. Er setzte sich auf den letzten freien Stuhl. «Heidi Sello wurde ermordet. Ich habe sie selbst identifiziert.»
    Gerda Strack stieß einen Schrei aus. «Nicht Heidi!» Sie fiel auf die Knie und schlug mit den Händen auf den Boden. «Nicht Heidi, nicht sie …» Ihre Stimme klang herzzerreißend. Von Schock und Schmerz überwältigt, begann sie zu weinen. Lippstedt wollte zu ihr eilen, aber August drückte ihn zurück in den Sessel.
    Sören ging zu Gerda Strack und wollte ihr tröstend einen Arm umlegen, aber sie schlug wie besessen um sich und rief immer wieder Heidis Namen.
    «Wo wohnte Heidi Sello?»
    Lippstedt zögerte. Er wollte zu Gerda. «Mal hier, mal dort», erwiderte er. «Sie hatte keinen festen Wohnsitz. Ja, um Ihre Frage vorwegzunehmen: Eine Zeitlang hatte sie sich hier einquartiert. Dann hatte sie eine Liaison mit einem Bildhauer, dem sie auch Modell gesessen hat. Otto Frischmuth.»
    Andresen notierte den Namen. «Herkunft? Verwandtschaft?», fragte er.
    «Heidi war angeblich eine Waise. Lassen Sie mich zu ihr!», schnauzte der Maler August an, der Andresen daraufhin einen fragenden Blick zuwarf und Lippstedt erst ziehen ließ, nachdem sein Vorgesetzter zustimmend genickt hatte. Er half Gerda auf die Beine. Dann holte er ihre Kleidung. «Es hat doch keinen Sinn. Zieh dir erst mal was an.»
    Nach ein paar Minuten hatte sie sich halbwegs von dem ersten Schock erholt. «Heidi stammt irgendwo aus dem Friesischen», erzählte sie. «Ihr Vater war Leuchtturmwärter, hat sie mir mal erzählt. Ob’s stimmt, kann ich nicht sagen. Wir waren zwar sehr gut befreundet, aber über diese Dinge hat sie nie viele Worte verloren. Genauso wenig über ihre Liebhaber. Es ging immer nur über die sexuellen Dinge. Da hat sie kein Blatt vor den Mund genommen.»
    «Das wollen wir gar nicht so genau hören», erklärte Andresen. Er war puterrot geworden.
    «Ich denke, doch», sagte Sören. «Nach allem, was wir wissen, wurde sie Opfer eines Lustmörders.»
    Gerda hatte wieder Tränen in den Augen. «Ich glaube es nicht … Wir werden sie nie wiedersehen.» Sie drückte ihr Gesicht gegen Lippstedts Brust. Der machte eine hilflose Geste, strich ihr durchs Haar.
    Sören fiel ein Bild auf, das auf der Staffelei stand. Ein Dreiviertelakt, schräg von hinten. Eine Frau mit länglichem Oberkörper. Dunkle Haare, aufgetürmt zu einem mondänen Dutt. Das Gesicht abgewandt. Lippstedt hatte die durchschimmernden Rippenbögen betont. Davor wölbte sich der Ansatz einer flachen Brust, von der eigentlich nur die Spitze zu sehen war. Sören musste an Liane denken. Lippstedt hatte sie in Duvenstedt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher